Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 583

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tung hatte die Reformation gewirkt, die zur Konfiskation der Kirchengüter führte, welche an den Hofadel und an Spekulanten teils verschenkt, teils verschleudert wurden und deren bäuerliche Bevölkerung zum größten Teil gleichfalls von der Scholle vertrieben ward. So fanden die Manufakturisten wie die kapitalistischen Landpächter massenhaft eine arme proletarisierte Bevölkerung vor, die außerhalb der feudalen wie der Zunftfesseln stand und die nach einem längeren Martyrium im Vagabundenleben, im öffentlichen Arbeitshaus und unter blutiger Verfolgung durch Gesetz und Polizeibüttel in der Lohnsklaverei bei der neuen Klasse von Ausbeutern den rettenden Hafen erblickte. Alsbald folgten auch die großen technischen Umwälzungen in den Manufakturen, die immer mehr an Stelle des gelernten Handwerkers und neben ihm die Verwendung der ungelernten Lohnproletarier in größeren Massen ermöglichten.

All dies Streben und Drängen neuer Verhältnisse stieß allenthalben auf feudale Schranken und die Misere verrotteter Zustände. Die durch den Feudalismus bedingte und in seinem Wesen liegende Naturalwirtschaft sowie die Verelendung der Volksmasse durch den schrankenlosen Druck der Leibeigenschaft schnürten naturgemäß den inneren Markt für die Manufakturwaren ein, während gleichzeitig die Zünfte die wichtigste Produktionsbedingung: die Arbeitskraft, in den Städten immer noch fesselten. Der staatliche Apparat mit seiner unendlichen politischen Zersplitterung, seiner mangelnden öffentlichen Sicherheit, seinem Wust an zoll- und handelspolitischen Verkehrtheiten hemmte und belästigte den neuen Verkehr und die neue Produktion auf Schritt und Tritt.

Es war klar, daß das aufstrebende Bürgertum in Westeuropa als Vertreter des freien Welthandels und der Manufaktur all diese Hindernisse so oder anders aus dem Wege räumen mußte, wollte es anders nicht auf seine weltgeschichtliche Mission gänzlich verzichten. Bevor es nun den Feudalismus in der Großen Französischen Revolution in Stücke schlug, setzte es sich mit ihm erst kritisch auseinander, und die neue Wissenschaft der Nationalökonomie entsteht so als eine der wichtigsten ideologischen Waffen der Bourgeoisie im Kampfe gegen den mittelalterlichen Feudalstaat und für den modernen kapitalistischen Klassenstaat. Die heranbrechende Wirtschaftsordnung bot sich zunächst unter der Form eines neuen, rasch entstandenen Reichtums, der sich über die Gesellschaft in Westeuropa ergoß und der ganz anderen, ergiebigeren und scheinbar unerschöpflichen Quellen entstammte als die patriarchalischen Methoden der feudalen Bauernschinderei, die übrigens bereits am Ende ihres Lateins angelangt waren. Die frappanteste Quelle der neuen Bereicherung war

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