Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 562

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die Eingeweide der Völker greifen, wovon aber auch nicht ein blasser Schimmer in den trockenen Zahlen der internationalen Handelsstatistiken zu lesen ist. In den anderthalb Jahrhunderten, seitdem die moderne Industrie in England ihren Einzug gehalten, hat sich die kapitalistische Weltwirtschaft unter Schmerzen und Konvulsionen der gesamten Menschheit erst recht herausgebildet. Sie hat einen Produktionszweig nach dem anderen ergriffen, sich eines Landes nach dem anderen bemächtigt. Mit Dampf und Elektrizität, mit Feuer und Schwert hat sie sich in die entferntesten Erdwinkel Eingang verschafft, hat alle Chinesischen Mauern niedergerissen und durch die Ära der Weltkrisen, durch gemeinsame periodische Katastrophen die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der heutigen Menschheit eingeweiht. Der italienische Proletarier, der, aus dem heimischen Elend durch das vaterländische Kapital vertrieben, nach Argentinien oder Kanada auswandert, findet dort bereits ein fertiges neues Joch des Kapitals, aus den Vereinigten Staaten oder aus England importiert. Und der deutsche Proletarier, der zu Hause bleibt und sich redlich nähren will, ist in seinem Wohl und Wehe auf Schritt und Tritt von dem Gang der Produktion und des Handels in der ganzen Welt abhängig. Ob er Arbeit findet oder nicht, ob sein Lohn ausreichen wird, Weib und Kinder zu sättigen, ob er mehrere Tage in der Woche zu erzwungener Muße oder Tag und Nacht zur Hölle der Überarbeit verurteilt wird – das alles schwankt fortwährend in Abhängigkeit von der Baumwollernte in den Vereinigten Staaten, der Weizenernte in Rußland, den Entdeckungen neuer Gold- oder Diamantenfelder in Afrika, den Revolutionswirren in Brasilien, den Zollkämpfen, diplomatischen Wirren und Kriegen in fünf Weltteilen. Nichts ist heute so frappant, nichts ist von so entscheidender Bedeutung für die gesamte Gestaltung des heutigen sozialen und politischen Lebens wie der klaffende Widerspruch zwischen dieser jeden Tag enger und fester zusammenwachsenden wirtschaftlichen Grundlage, die alle Völker und Länder zu einem großen Ganzen verbindet, und dem politischen Überbau der Staaten, welcher die Völker durch Grenzpfähle, Zollschranken und Militarismus künstlich in ebenso viele fremde und feindliche Teile zu spalten sucht.

Und all dies existiert nicht für die Bücher, Sombart und ihre Kollegen! Für sie existiert nur der „immer vollkommenere Mikrokosmos“! Sie sehen weit und breit keine „besonderen Erscheinungen“, die von einer Volkswirtschaft „in wesentlichen Merkmalen abweichen“ würden! Ist das nicht ein Rätsel? Ist eine ähnliche Blindheit offizieller Vertreter der Wissenschaft für Phänomene, die in ihrer Fülle und ihrer grellen, blitzartigen Leucht-

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