Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 532

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bildet die Wirtschaft des gegebenen Volkes, eine „Volkswirtschaft“. Das wäre so ungefähr der Sinn des ersten Satzes in der Definition des Professors Bücher. Doch gehen wir in der Erläuterung weiter.

„Die Volkswirtschaft zerfällt wieder in zahlreiche Einzelwirtschaften, welche durch den Verkehr miteinander verbunden und dadurch voneinander mannigfach abhängig sind, daß jede für alle anderen gewisse Aufgaben übernimmt und von anderen für sich solche Aufgaben übernehmen läßt.“ Hier stehen wir vor einer neuen Frage: Was sind das für „Einzelwirtschaften“, in die jene „Volkswirtschaft“, die wir uns erst mühsam zurechtgedacht haben, zerfallen soll? Das Nächstliegende ist wohl, daß wir uns darunter die einzelnen Hausstände, Familienwirtschaften zu denken haben. In der Tat besteht jedes Volk in den sogenannten Kulturländern aus einer Anzahl Familien, und jede Familie führt auch in der Regel eine „Wirtschaft“ für sich. Diese Privatwirtschaft besteht darin, daß die Familie, sei es aus der Beschäftigung ihrer erwachsenen Mitglieder, sei es aus sonstigen Quellen, gewisse Geldeinnahmen bezieht, womit sie wiederum ihre Bedürfnisse an Nahrung, Kleidung, Wohnung etc. bestreitet, wobei, wenn wir an eine Familienwirtschaft denken, uns gewöhnlich im Mittelpunkt dieser Vorstellung die Hausmutter, die Küche, der Wäscheschrank und die Kinderstube erscheinen. Sollte die „Volkswirtschaft“ in solche „Einzelwirtschaften“ zerfallen? Wir geraten in eine gewisse Verlegenheit. Bei der Volkswirtschaft, wie wir sie uns eben konstruiert haben, handelt es sich vor allem um die Herstellung all jener Güter, die als Nahrung, Kleidung, Wohnung, Möbel, Werkzeuge und Stoffe zum Leben und zur Arbeit gehören. Im Mittelpunkt der Volkswirtschaft steht die Produktion. In den Familienwirtschaften hingegen handelt es sich nur um den Verbrauch der Gegenstände, die sich die Familie für ihr Einkommen fertig verschafft. Wir wissen, daß sich die meisten Familien in den modernen Staaten heutzutage fast alle Lebensmittel, Kleidung, Möbel usw. in den Läden, auf dem Markte fertig kaufen. In der Hauswirtschaft wird nur aus eingekauften Lebensmitteln die Speise zubereitet, oder es werden höchstens aus gekauften Stoffen Kleider verfertigt. Nur in ganz zurückgebliebenen ländlichen Gegenden findet man noch Bauernfamilien, die sich das meiste zum Leben durch eigene Arbeit in der Wirtschaft verschaffen. Freilich gibt es andererseits auch in den modernen Staaten viele Familien, die gerade zu Hause verschiedene Industrieprodukte in Massen herstellen: so die Hausweber, die Konfektionsarbeiter; es gibt auch, wie wir wissen, ganze Dörfer, wo man Spielzeug und dergleichen in der Hausindustrie verfertigt. Allein gerade hier gehört das

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