Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 529

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-5/seite/529

schaftspolitik, Arbeit und Arbeitsteilung – verbundenen Systeme zu verknüpfen, wie es die bedeutenden Schriftsteller des 18. Jahrhunderts versuchten. Seither besteht die Volkswirtschaftslehre oder Nationalökonomie als selbständige Wissenschaft.“[1]

Faßt man der langen Rede kurzen Sinn zusammen, so erhalten wir die Belehrung: Einzelne nationalökonomische Beobachtungen, die lange Zeit zerstreut vorlagen, haben sich zu einer besonderen Wissenschaft zusammengeschlossen, als ein Bedürfnis der „Leitung und Verwaltung der Staaten“, das heißt der Regierungen danach vorlag und als es zu diesem Zwecke nötig wurde, an den Universitäten die Nationalökonomie zu lehren. Wie wundervoll, wie klassisch ist diese Erklärung für einen deutschen Professor! Erst wird aus einem „Bedürfnis“ der hochwohllöblichen Regierung heraus ein Katheder gegründet, auf dem ein diensteifriger Professor Platz nimmt; alsdann muß natürlich auch die entsprechende Wissenschaft geschaffen werden, denn was sollte der Professor sonst wohl lehren? Wer denkt da nicht an jenen Hofzeremonienmeister, der behauptete, die Monarchien müßten immer bestehenbleiben; denn gäbe es diese nicht, zu was wäre er, der Hofzeremonienmeister, auf der Welt? Doch der Kern der Sache: Die Nationalökonomie ist entstanden, weil die Regierungen der modernen Staaten diese Wissenschaft brauchten. Die Bestellung der Obrigkeit ist die eigentliche Geburtslegitimation der Nationalökonomie. Der Denkweise eines heutigen Professors, der als wissenschaftlicher Kammerdiener der jeweiligen Reichsregierung in ihrem Auftrage für eine beliebige Flottenvorlage, Zoll- oder Steuervorlage „wissenschaftliche“ Agitation treibt oder als Hyäne des Schlachtfeldes während eines Krieges chauvinistische Völkerverhetzung und geistigen Kannibalismus predigt, entspricht es nun freilich vollkommen, sich einzubilden, daß das Geldbedürfnis der Fürsten, die Interessen der „fürstlichen Schatzkammern“, daß ein Kommandowort der Regierungen genügt, um selbst eine ganz neue Wissenschaft aus dem Boden zu stampfen. Für die übrige, nicht vom Fiskus besoldete Menschheit wird eine solche Vorstellung indes ihre Schwierigkeiten haben. Vor allem aber gibt uns auch diese Erklärung nur ein neues Rätsel auf. Denn nun müssen wir fragen: Was ist geschehen, daß um das 17. Jahrhundert herum, wie Professor Schmoller behauptet, die Regierungen der modernen Staaten plötzlich ein Bedürfnis verspüren, ihren lieben Untertanen nach wissenschaftlichen Grundsätzen das Fell über die Ohren zu ziehen, während sie dies jahrhundertelang zuvor mit

Nächste Seite »



[1] Gustav Schmoller: Volkswirtschaft, Volkswirtschaftslehre und -methode. In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Siebenter Band, Jena 1901, S. 546.