Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 476

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merkt, was jedes Kind heute weiß: daß die Waren, wenn sie zur Ausfuhr gelangen, nicht vernichtet, sondern ausgetauscht werden und daß dafür in der Regel in jenen nichtkapitalistischen Ländern und Schichten andere Waren gekauft werden, die dazu dienen, wiederum die kapitalistische Wirtschaft mit Produktions- und Konsummitteln zu versehen! Mit Pathos schildert er als höchst verderblich für das Kapital und als meine Verblendung, was alltägliche Wirklichkeit vom ersten bis zum letzten Tage der Geschichte des Kapitalismus ist!

Erstaunliche Dinge fürwahr. Der englische Kapitalismus „schleuderte“ seit den zwanziger bis in die sechziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts fortwährend eigene Produktionsmittel: Kohle und Eisen, nach dem damals nichtkapitalistischen Nordamerika und Südamerika hinaus und ging dabei nicht zugrunde, sondern gedieh und kriegte rote Backen, wobei er Baumwolle, Zucker, Reis, Tabak und später Getreide aus dem selbigen Amerika wieder bezog. Der deutsche Kapitalismus „schleudert“ heute mit Feuereifer seine Maschinen, Eisenstäbe, Lokomotiven und Textilprodukte nach der nichtkapitalistischen Türkei hinaus und, statt daran zugrunde zu gehen, ist er vielmehr bereit, die Welt an allen vier Ecken in Brand zu stecken, nur um diese verderblichen Geschäfte in viel umfangreicherem Maße für sich zu monopolisieren. Um sich die Möglichkeit des „Hinausschleuderns“ eigener kapitalistischer Waren nach dem nichtkapitalistischen China zu öffnen, führten England und Frankreich drei Jahrzehnte lang blutige Kriege in Ostasien, und hat das vereinigte Kapital Europas an der Wende des Jahrhunderts einen internationalen Kreuzzug gegen China unternommen.[1] Ja, der Austauschverkehr mit Bauern und Handwerkern, also nichtkapitalistischen Produzenten in Europa selbst, in jedem Lande, vor unserer Nase, ist eine der alltäglichsten Erscheinungen und zugleich, wie jedermann weiß, eine der unumgänglichsten Existenzbedingungen für die kapitalistische Industrie. Und da eröffnet uns Otto Bauer plötzlich: wenn die Kapitalisten ihre Waren, die sie oder ihre Arbeiter nicht selbst konsumieren, nach dem nichtkapitalistischen Milieu „hinausschleudern“ würden, wäre jede Akkumulation unmöglich! Als ob die kapitalistische Entwicklung umgekehrt geschichtlich möglich wäre, wenn das Kapital von Anfang an lediglich auf die von ihm selbst hergestellten Produktions- und Konsumtionsmittel angewiesen wäre!

So kann man sich im Eifer der theoretischen Spintisiererei verhaspeln! Es ist aber für diese ganze „sachverständige“ Epigonenrichtung des Marxismus in Theorie und Praxis charakteristisch – und wir werden dies spä-

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[1] Siehe S. 341, Fußnote 2.