Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 405

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Freilich, das Kapital wird zunächst um 100 geringeren Absatz an Lebensmitteln für die Arbeiter haben. Für den Einzelkapitalisten ist der Arbeiter auch ein ebenso guter Konsument und Warenabnehmer wie jeder andere, wie ein Kapitalist, der Staat, der Bauer, „das Ausland“ usw. Vergessen wir jedoch nicht, daß für das Gesamtkapital die Ernährung der Arbeiterklasse nur Malum necessarium, nur ein Umweg zum eigentlichen Zweck der Produktion: zur Erzeugung und Realisierung des Mehrwerts, ist. Gelingt es, dieselbe Menge Mehrwert herauszupressen, ohne der Arbeitskraft dieselbe Menge Lebensmittel zuführen zu müssen, um so glänzender das Geschäft. Es läuft zunächst auf dasselbe hinaus, wie wenn es – ohne Lebensmittelteuerung – dem Kapital gelungen wäre, die Geldlöhne entsprechend herabzudrücken, ohne die Leistung der Arbeiter zu verringern. Zieht doch dauernde Lohnreduktion gleichfalls im weiteren Gefolge die Einschränkung der Lebensmittelproduktion nach sich. Sowenig sich das Kapital graue Haare wachsen läßt, daß es weniger Lebensmittel für die Arbeiter wird produzieren müssen, wenn es an ihren Löhnen Beutelschneiderei treibt, vielmehr diesem Geschäft bei jeder Gelegenheit mit Lust und Liebe nachgeht, ebensowenig verursacht es dem Kapital im ganzen Beschwerden, daß die Arbeiterklasse dank der indirekten Besteuerung, die nicht durch Lohnerhöhungen wettgemacht wird, eine geringere Nachfrage nach Lebensmitteln darstellt. Freilich bleibt bei direkten Lohnreduktionen die Differenz an variablem Kapital in der Tasche des Kapitalisten und vergrößert, bei gleichbleibenden Warenpreisen, den relativen Mehrwert, während sie jetzt in die Staatskasse wandert. Allein andererseits sind allgemeine und dauernde Reduktionen an Geldlöhnen zu allen Zeiten, namentlich aber bei hoher Entwicklung der gewerkschaftlichen Organisationen, nur selten durchführbar. Der fromme Wunsch des Kapitals stößt hier auf starke Schranken sozialer und politischer Natur. Hingegen setzt sich die Herabdrückung der Reallöhne vermittelst der indirekten Besteuerung prompt, glatt und generell durch, worauf sich der Widerstand meist erst nach längerer Zeit, auf politischem Gebiete und ohne unmittelbares ökonomisches Resultat zu äußern pflegt. Ergibt sich daraus hinterdrein eine Einschränkung der Lebensmittelproduktion, so erscheint das Geschäft vom Standpunkte des Gesamtkapitals nicht als ein Verlust an Absatz, sondern als eine Ersparnis an Unkosten bei der Produktion von Mehrwert. Die Herstellung von Lebensmitteln für Arbeiter ist eine Bedingung sine qua non der Produktion des Mehrwerts, nämlich die Reproduktion der lebendigen Arbeitskraft, niemals aber ein Mittel der Realisierung des Mehrwerts.

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