Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 373

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Die Anlage des deutschen Kapitals in der Türkei ruft eine gesteigerte Ausfuhr deutscher Waren nach diesem Lande hervor.

Die deutsche Ausfuhr nach der Türkei betrug 1896 28 Millionen Mark, 1911 113 Millionen Mark, speziell nach der asiatischen Türkei 1901 12 Millionen, 1911 37 Millionen Mark. Auch in diesem Falle werden die eingeführten deutschen Waren zu einem beträchtlichen Teil mit deutschem Kapital bezahlt, und die Deutschen enthalten sich nur – nach dem Sismondischen Ausdruck – des Vergnügens, ihre eigenen Erzeugnisse zu genießen.

Sehen wir näher zu.

Realisierter Mehrwert, der in England oder Deutschland nicht kapitalisiert werden kann und brachliegt, wird in Argentinien, Australien, Kapland oder Mesopotamien in Eisenbahnbau, Wasserwerke, Bergwerke usw. gesteckt. Maschinen, Material und dergleichen werden aus dem Ursprungslande des Kapitals bezogen und mit demselben Kapital bezahlt. Aber so wird es auch im Lande selbst unter kapitalistischer Produktion gemacht: Das Kapital muß selbst seine Produktionselemente kaufen, sich in ihnen verkörpern, ehe es sich betätigen kann. Freilich – der Genuß der Produkte bleibt dann dem Lande, während er im ersteren Falle den Ausländern überlassen wird. Aber Zweck der kapitalistischen Produktion ist nicht Genuß der Produkte, sondern Mehrwert, Akkumulation. Das müßige Kapital hatte im Lande keine Möglichkeit zu akkumulieren, da kein Bedarf nach zuschüssigem Produkt vorhanden war. Im Auslande aber, wo noch keine kapitalistische Produktion entwickelt ist, ist eine neue Nachfrage in nichtkapitalistischen Schichten entstanden, oder sie wird gewaltsam geschaffen. Gerade daß der „Genuß“ der Produkte auf andere übertragen wird, ist für das Kapital entscheidend. Denn der Genuß der eigenen Klassen: Kapitalisten und Arbeiter, kommt für die Zwecke der Akkumulation nicht in Betracht. Der „Genuß“ der Produkte muß von den neuen Konsumenten allerdings realisiert, bezahlt werden. Dazu müssen die neuen Konsumenten Geldmittel haben. Diese liefert ihnen zum Teil der gleichzeitig entstehende Warenaustausch. An den Eisenbahnbau wie an den Bergbau (Goldgruben usw.) knüpft sich unmittelbar ein reger Warenhandel. Dieser realisiert allmählich das im Eisenbahnbau oder Bergbau vorgeschossene Kapital mitsamt dem Mehrwert. Ob das in dieser Weise ins Ausland fließende Kapital auf eigene Faust als Aktienkapital sich ein Arbeitsfeld sucht oder durch die Vermittelung des fremden Staates, als äußere Anleihe aufgenommen, die neue Betätigung in Industrie oder Verkehr findet, ob im ersteren Falle die Aktiengründungen vielfach als

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