Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 371

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schuf wieder in den Vereinigten Staaten den erweiterten Markt für die englische Industrie.

Und nicht nur das englische, auch das übrige europäische Kapital beteiligte sich nach Kräften an dem „seltsamen Handel“; nach einer Äußerung Schäffles waren in den 5 Jahren 1849–1854 mindestens eine Milliarde Gulden an den verschiedenen europäischen Börsen in amerikanischen Wertpapieren angelegt. Die gleichzeitig hervorgerufene Belebung der Weltindustrie mündete auch in den Weltkrach 1857. In den 60er Jahren beeilt sich das englische Kapital, außer in den Vereinigten Staaten dasselbe Verhältnis in Asien zu schaffen. Es fließt massenhaft nach Kleinasien und nach Ostindien, unternimmt hier großartige Eisenbahnbauten – das Eisenbahnnetz Britisch-Indiens betrug 1860 1350, 1870 7683, 1880 14 977, 1890 27 000 Kilometer –, daraus ergibt sich sofort eine gesteigerte Nachfrage nach englischen Waren. Aber gleichzeitig strömt das englische Kapital, kaum daß der Sezessionskrieg beendet war, wieder nach den Vereinigten Staaten. Der enorme Eisenbahnbau der amerikanischen Union in den 60er und 70er Jahren – das Eisenbahnnetz betrug 1850 14151, 1860 49 292, 1870 85 139, 1880 150 717, 1890 268 409 Kilometer – wurde wiederum in der Hauptsache mit englischem Kapital bestritten. Zugleich bezogen aber diese Eisenbahnen ihr Material gleichfalls aus England, was eine der Hauptursachen der sprunghaften Entwicklung der englischen Kohlen- und Eisenindustrie und der Erschütterung dieser Zweige durch die amerikanischen Krisen 1866, 1873, 1884 war.[1] Hier stimmte es also wörtlich, was Sismondi als ein augenscheinlicher Wahnwitz erschien: Die Engländer errichteten in den Vereinigten Staaten mit eigenem Eisen und sonstigem Material die Eisenbahnen, zahlten sich mit eigenem Kapital dafür und enthielten sich nur des „Genusses“ dieser Eisenbahnen. Dieser Wahnwitz mundete jedoch dem europäischen Kapital trotz aller periodischen Krisen so gut, daß um die Mitte der 70er Jahre die Londoner Börse von einem förmlichen Fieber nach ausländischen Anleihen erfaßt wurde. 1870–1875 wurden in London solcher Anleihen für 260 Millionen Pfund Sterling aufgenommen – ihre unmittelbare Folge war eine rasch steigende Ausfuhr englischer Waren nach den exotischen Ländern; das Kapital floß massenhaft dahin, obgleich diese exotischen Staaten zeitweise bankrott wurden. Ende der 70er Jahre haben die Zinsenzahlung ganz oder teil-

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[1] Die amerikanischen Krisen von 1866, 1873 und 1884 trugen wesentlich dazu bei, das industrielle Weltmonopol Englands zu erschüttern, wobei den Krisen von 1873 und 1884 besondere Bedeutung zukommt, da sie den Konzentrationsprozeß der Produktion und die Zentralisation des Kapitals in den USA beschleunigten und zu wesentlichen Verbesserungen in der Technik und im Verkehrswesen führten. England blieb im Entwicklungstempo der Industrieproduktion zurück.