Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 356

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mir der Vorschlag gemacht, eine Farm mit Wohnhaus für 100 Dollar zu übernehmen. Später ist das leere Haus unter der Last des Schnees zusammengebrochen. In Oregon sahen wir viele verlassene Farmen mit Wohnhäuschen und Gemüsegärtchen. Eins davon, das wir besucht haben, war ausgezeichnet gebaut: ein kräftiges von Meisterhand zusammengefügtes Blockhaus mit einigen Gerätschaften. Und alles das war vom Farmer verlassen. Jedermann konnte alles unentgeltlich in Besitz nehmen.“[1]

Wohin wendet sich der ruinierte Farmer der Union? Er zieht mit seinem Wanderstab dem „Weizenzentrum“ und den Eisenbahnen nach. Das Weizenparadies verschiebt sich zum Teil nach Kanada an den Saskatschewan und den Mackenziefluß, wo Weizen noch unter dem 62. Grad nördlicher Breite gedeiht. Ihm folgt ein Teil der Farmer der Union[2], um nach einiger Zeit in Kanada noch einmal dasselbe Schicksal durchzumachen. Kanada ist in den letzten. Jahren auf dem Weltmarkt in die Reihe der Weizenausfuhrländer eingetreten, dort wird aber die Landwirtschaft noch mehr vom Großkapital beherrscht.[3]

Die Verschleuderung der öffentlichen Ländereien an privatkapitalistische Gesellschaften ist in Kanada noch ungeheuerlicher betrieben worden als in den Vereinigten Staaten. Der Charter und Landgrant der kanadischen Pazifikbahngesellschaft ist etwas Beispielloses an öffentlichem Raub durch das Privatkapital. Der Gesellschaft war nicht bloß das Monopol auf den Eisenbahnbau für 20 Jahre gesichert, die ganze zu bebauende Strecke von etwa 713 englischen Meilen im Werte von zirka 35 Millionen Dollar

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[1] Zit. bei: Nikolai-on: l. c., S. 224. – [Fußnote im Original]

[2] Die Einwanderung nach Kanada betrug 1901 49 149 Personen. Im Jahre 1911 sind über 300 000 Personen eingewandert, davon 138 000 britische und 134 000 amerikanische Einwanderer. Wie aus Montreal Ende Mai 1912 gemeldet wurde, dauerte der Zuzug der amerikanischen Farmer auch in diesem Frühjahr fort. – Im Original mit **.

[3] „Ich habe auf der Reise durch den kanadischen Westen nur eine einzige Farm besucht, welche weniger als 1000 Acres (1585 preußische Morgen) umfaßte. Nach dem 1881er Census des Dominion of Canada waren in Manitoba zur Zeit der Aufnahme 2 384 337 Acres Landes von nur 9077 Besitzern okkupiert: es entfielen demnach auf einen einzelnen nicht weniger als 2047 Acres – eine Durchschnittsgröße, wie sie in keinem Staate der Union nur entfernt erreicht wird.“ (Seeing: I. c., S. 376.) Wenig verbreitet war freilich zu Beginn der 80er Jahre in Kanada eigentlicher Großbetrieb. Doch beschreibt schon Seeing die einer Aktiengesellschaft gehörige „Bell-Farm“, die nicht weniger als 22 680 Hektar umfaßte und offenbar nach dem Muster der Dalrymple-Farm eingerichtet war. – Seeing, der die Aussichten der kanadischen Konkurrenz sehr kühl und skeptisch betrachtete, hat in den 80er Jahren als den „fruchtbaren Gürtel“ Westkanadas eine Fläche von 311 000 Quadratmeter oder ein Gebiet drei Fünftel so groß wie ganz Deutschland berechnet, davon nahm er bei extensiver Kultur nur 38,4 Millionen Acres als wirkliches Kulturland und davon als voraussichtliches Weizengebiet im Höchstfalle nur 15 Millionen Acres an. (Seeing: l. c., S. 337 u. 338.) Nach den Schätzungen der „Manitoba Free Press“ von Mitte Juni 1912 betrug die Anbaufläche für Frühjahrsweizen in Kanada im Sommer 1912 11,2 Millionen Acres gegen eine Fläche von 19,2 Millionen Acres Frühjahrsweizen in den Vereinigten Staaten. (Siehe Berliner Tageblatt und Handelszeitung, Nr. 305 vom 18. Juni 1912.) – [Fußnote im Original]