Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 343

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Warenproduktion. Trotzdem die gewerbliche Produktion weiter vom Handwerk über Manufaktur zur großindustriellen kapitalistischen Fabrik vorgeschritten war, blieb auf dem Lande in der bäuerlichen Wirtschaft das Handwerk noch zäh an der Landwirtschaft haften. Als häusliche Nebenproduktion in der vom Ackerbau freien Zeit spielte das Handwerk zum Selbstbedarf in der bäuerlichen Wirtschaft eine hervorragende Rolle.[1] Die Entwicklung der kapitalistischen Produktion entreißt der bäuerlichen Wirtschaft immer einen Zweig des Gewerbes nach dem anderen, um sie zur fabrikmäßigen Massenproduktion zu konzentrieren. Die Geschichte der Textilindustrie ist dafür ein typisches Beispiel. Dasselbe vollzieht sich aber, weniger auffällig, mit allen anderen Handwerkszweigen der Landwirtschaft. Um die Bauernmasse zur Abnehmerin seiner Waren zu machen, ist das Kapital bestrebt, die bäuerliche Wirtschaft zunächst auf den einen Zweig zu reduzieren, dessen es sich nicht sofort – und in europäischen Eigentumsverhältnissen überhaupt nicht ohne Schwierigkeit – bemächtigen kann: auf die Landwirtschaft.[2] Hier scheint äußerlich alles ganz friedlich abzugehen. Der Prozeß ist unmerklich und gleichsam von rein ökonomischen Faktoren bewirkt. Die technische Überlegenheit der fabrikmäßigen Massenproduktion mit ihrer Spezialisierung, mit ihrer wissenschaftlichen Analyse und Kombination des Produktionsprozesses, mit ihren Bezugsquellen der Rohstoffe vom Weltmarkt und ihren vervollkommneten Werkzeugen steht im Vergleich mit dem primitiven bäuerlichen Gewerbe außer jedem Zweifel. In Wirklichkeit sind bei diesem Prozeß der Trennung der bäuerlichen Landwirtschaft vom Gewerbe Faktoren wie Steuerdruck, Krieg, Verschleuderung und Monopolisierung des nationalen Grund und Bodens wirksam, die gleichermaßen in das Gebiet der Nationalökonomie, der politischen Gewalt und des Strafkodex fallen. Nirgends ist dieser Prozeß so gründlich durchgeführt wie in den Vereinigten Staaten von Amerika.

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[1] In China hat sich das häusliche Gewerbe bis in die jüngste Zeit sogar beim Bürgertum in weitem Maße erhalten, selbst in so großen und alten Handelsstädten, wie z. B. Ningpo mit seinen 300 000 Einwohnern. „Noch vor einem Menschenalter machten die Frauen selbst Schuhe, Hüte, Hemden und sonstiges für ihre Männer und für sich. Es erregte damals in Ningpo viel Aufsehen, wenn eine junge Frau irgend etwas bei einem Händler einkaufte, was sie durch den Fleiß ihrer Hände selbst hätte herstellen können.“ (Nyok-Ching Tsur: Die gewerblichen Betriebsformen der Stadt Ningpo, Tübingen 1909, S. 51.) – [Fußnote im Original]

[2] Das letzte Kapitel in der Geschichte der Bauernwirtschaft unter den Einwirkungen der kapitalistischen Produktion stellt freilich dieses Verhältnis auf den Kopf. Bei dem ruinierten Kleinbauer wird vielfach die Hausindustrie für kapitalistische Verleger oder einfach die Lohnarbeit in der Fabrik zum Hauptberuf der Männer, während der landwirtschaftliche Betrieb ganz auf die Schultern von Frauen, Greisen und Kindern abgewälzt wird. Ein Musterbeispiel bietet der Kleinbauer Württembergs. – [Fußnote im Original]