Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 314

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jeder Beziehung auf die gleichzeitige Existenz nichtkapitalistischer Schichten und Gesellschaften angewiesen ist. Dieses Verhältnis erschöpft sich nicht durch die nackte Frage des Absatzmarktes für das „überschüssige Produkt“, wie das Problem von Sismondi und den späteren Kritikern und Zweiflern der kapitalistischen Akkumulation gestellt wurde. Der Akkumulationsprozeß des Kapitals ist durch alle seine Wertbeziehungen und Sachbeziehungen: konstantes Kapital, variables Kapital und Mehrwert an nichtkapitalistische Produktionsformen gebunden. Letztere bilden das gegebene historische Milieu jenes Prozesses. Die Kapitalakkumulation kann so wenig unter der Voraussetzung der ausschließlichen und absoluten Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise dargestellt werden, daß sie vielmehr ohne das nichtkapitalistische Milieu in jeder Hinsicht undenkbar ist. Freilich zeigten Sismondi und seine Nachfolger einen richtigen Instinkt für die Daseinsbedingungen der Akkumulation, wenn sie deren Schwierigkeiten einzig und allein auf die Realisierung des Mehrwerts reduzierten. Zwischen den Bedingungen dieser letzteren und den Bedingungen der Erweiterung des konstanten und des variablen Kapitals in ihrer Sachgestalt besteht ein wichtiger Unterschied. Das Kapital kann ohne die Produktionsmittel und die Arbeitskräfte des gesamten Erdballes nicht auskommen, zur ungehinderten Entfaltung seiner Akkumulationsbewegung braucht es die Naturschätze und die Arbeitskräfte aller Erdstriche. Da diese sich tatsächlich in überwiegender Mehrzahl in den Banden vorkapitalistischer Produktionsformen befinden – dies das geschichtliche Milieu der Kapitalakkumulation –, so ergibt sich daraus der ungestüme Drang des Kapitals, sich jener Erdstriche und Gesellschaften zu bemächtigen. An sich wäre der kapitalistischen Produktion z. B. auch mit kapitalistisch betriebenen Kautschukplantagen, wie sie z. B. in Indien bereits angelegt sind, gedient. Aber die tatsächliche Vorherrschaft nichtkapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse in den Ländern jener Produktionszweige ergibt für das Kapital die Bestrebung, jene Länder und Gesellschaften unter seine Botmäßigkeit zu bringen, wobei die primitiven Verhältnisse allerdings so außerordentlich rasche und gewaltsame Griffe der Akkumulation ermöglichen, wie sie unter rein kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen ganz undenkbar wären.

Anders die Realisierung des Mehrwerts. Diese ist von vornherein an nichtkapitalistische Produzenten und Konsumenten als solche gebunden. Die Existenz nichtkapitalistischer Abnehmer des Mehrwerts ist also direkte Lebensbedingung für das Kapital und seine Akkumulation, insofern also der entscheidende Punkt im Problem der Kapitalakkumulation.

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