Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 292

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eine Krise, aber nicht eine Krise aus Überproduktion, sondern aus bloßer Absicht der Akkumulation, eine Krise, wie sie Sismondi vorschwebte.

An einer Stelle seiner „Theorien“ erklärt Marx ausdrücklich, daß er hier gar nicht auf den Fall eingehe, „daß mehr Kapital akkumuliert ist, als in der Produktion unterzubringen, z. B. in der Form von Geld, (das) brach bei Bankiers liegt. Daher das Ausleihen ins Ausland etc.“[1] Marx verweist diese Erscheinungen in den Abschnitt von der Konkurrenz. Aber es ist wichtig festzustellen, daß sein Schema die Bildung eines solchen überschüssigen Kapitals direkt ausschließt. Die Konkurrenz, wie weit wir auch den Begriff fassen, kann offenbar nicht erst Werte, also auch Kapital, schaffen, die sich nicht aus dem Reproduktionsprozeß ergeben.

Das Schema schließt auf diese Weise die sprunghafte Erweiterung der Produktion aus. Es läßt nur die stetige Erweiterung zu, die mit Bildung des Mehrwerts genau Schritt hält und auf der Identität zwischen Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts beruht.

Aus demselben Grunde unterstellt das Schema eine Akkumulation, die beide Abteilungen, also sämtliche Zweige der kapitalistischen Produktion, gleichmäßig ergreift. Eine sprungweise Erweiterung des Absatzes erscheint hier ebenso ausgeschlossen wie die einseitige Entwicklung einzelner kapitalistischer Produktionszweige, die anderen weit vorauseilen.

Das Schema setzt also eine Bewegung des Gesamtkapitals voraus, die dem tatsächlichen Gang der kapitalistischen Entwicklung widerspricht. Die Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise wird durch zwei Tatsachen auf den ersten Blick charakterisiert: einerseits periodische sprungweise Expansion des ganzen Produktionsfeldes, andererseits höchst ungleichmäßige Entwicklung verschiedener Produktionszweige. Die Geschichte der englischen Baumwollindustrie, das charakteristischste Kapitel in der Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise seit dem letzten Viertel des 18. bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts, erscheint vom Standpunkte des Marxschen Schemas völlig unerklärlich.

Endlich widerspricht das Schema der Auffassung vom kapitalistischen Gesamtprozeß und seinem Verlauf, wie sie von Marx im dritten Bande des „Kapitals“ niedergelegt ist. Der Grundgedanke dieser Auffassung ist der immanente Widerspruch zwischen der schrankenlosen Expansionsfähigkeit der Produktivkraft und der beschränkten Expansionsfähigkeit der gesellschaftlichen Konsumtion unter kapitalistischen Verteilungsverhältnissen. Hören wir zu, wie Marx ihn im 15. Kapitel „Entfaltung der

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[1] Theorien, Bd. II, Teil 2, S. 252. [Karl Marx: Theorien über den Mehrwert, Zweiter Tell. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 26.2, S. 485.] – [Fußnote im Original]