Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 233

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wissen Zweigen Fuß zu fassen. Es handelt sich aber für uns nicht darum. Wir reden nicht von der zufälligen Teilnahme des Kapitals an der industriellen Organisation des Landes, sondern wir fragen, ob es wahrscheinlich sei, daß die gesamte Produktion Rußlands auf kapitalistische Basis gestellt werden könnte.“[1]

In dieser Form bekommt die Skepsis des Herrn Woronzow offenbar ein ziemlich anderes Gesicht, als man zuerst annehmen mochte. Er hegt Zweifel darüber, ob sich die kapitalistische Produktionsweise je der gesamten Produktion in Rußland wird bemächtigen können. Dieses Kunststück hat sie aber bis jetzt noch in keinem Lande der Welt, nicht einmal in England ganz fertiggebracht. Eine derartige Skepsis in bezug auf die Zukunft des russischen Kapitalismus dürfte also vorerst ganz international gefaßt werden. Und in der Tat läuft hier die Theorie Woronzows auf ganz allgemeine Erwägungen über die Natur und die Lebensbedingungen des Kapitalismus hinaus, sie stützt sich auf allgemeine theoretische Ansichten über den Reproduktionsprozeß des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Woronzow formuliert in folgender deutlicher Weise den besonderen Zusammenhang der kapitalistischen Produktionsweise mit der Frage der Absatzmärkte: „Die nationale Arbeitsteilung, die Verteilung aller Industriezweige unter den am Welthandel beteiligten Ländern hat mit dem Kapitalismus gar nichts zu tun. Der Absatzmarkt, der sich auf diese Weise bildet, die Nachfrage nach den Produkten verschiedener Länder, die sich aus einer solchen Arbeitsteilung zwischen den Völkern ergibt, hat ihrem Charakter nach nichts gemein mit dem Absatzmarkt, den die kapitalistische Produktionsweise benötigt ... Die Produkte der kapitalistischen Industrie kommen auf den Markt zu einem anderen Zwecke: Sie berühren nicht die Frage, ob alle Bedürfnisse des Landes befriedigt sind; sie brauchen nicht unbedingt dem Unternehmer anstatt ihrer selbst ein anderes materielles Produkt zu liefern, das der Konsumtion dient. Ihr Hauptzweck ist: den in ihnen verborgenen Mehrwert zu realisieren. Was ist das aber für ein Mehrwert, der den Kapitalisten um seiner selbst willen interessiert? Von dem Standpunkt, von dem aus wir die Frage betrachten, ist der erwähnte Mehrwert – der Überschuß der Produktion über die Konsumtion im Innern des Landes. Jeder Arbeiter produziert mehr, als er selbst konsumiert, und alle diese Überschüsse sammeln sich in wenigen Händen; die Besitzer dieser Überschüsse verzehren sie selbst, zu welchem Zwecke sie sie innerhalb des Landes sowie im Auslande gegen verschiedenste Lebensmittel und Gegenstände des Luxus austauschen; doch soviel sie auch essen,

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[1] l. c., S. 10. – [Fußnote im Original]