Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 211

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Siebentel, und die Unternehmer, die sich auf sechs Siebentel „ordinärer Waren“ eingerichtet haben, werden zu ihrer schmerzlichen Überraschung konstatieren müssen, daß sie um ein Siebentel deren zuviel hergestellt haben. Wollen sie aber, durch diese Erfahrung gewitzigt, morgen ihre Produktion so einrichten, daß sie nur fünf Siebentel des gesamten Wertes des Nationalprodukts in ordinären Waren herstellen, so laufen sie damit nur einer neuen Enttäuschung in die Arme, denn übermorgen wird der Lohnanteil am Nationalprodukt sicher nur noch vier Siebentel darstellen usw.

Diese originelle Theorie ruft sofort eine Menge gelinder Zweifel wach. Wenn unsere Handelskrisen lediglich daher rühren, daß die „Lohnquote“ der Arbeiterklasse, das variable Kapital, einen immer geringeren Teil des Gesamtwerts des Nationalprodukts ausmacht, dann birgt ja das fatale Gesetz in sich selbst auch die Heilung des von ihm angerichteten Übels, da doch die Überproduktion einen immer geringeren Teil des Gesamtprodukts betrifft. Rodbertus liebt zwar die Ausdrücke von „übergroßer Mehrzahl“ der Konsumenten, von der „großen Volksmasse“ der Konsumenten, deren Anteil immer mehr sinke, doch kommt es nicht auf die Zahl der Köpfe bei der Nachfrage an, sondern auf den durch sie dargestellten Wert. Und dieser Wert bildet nach Rodbertus selbst einen immer geringfügigeren Teil des Gesamtprodukts. Die ökonomische Basis der Krisen wird damit immer schmaler, und es bleibt nur die Frage, wie es kommt, daß die Krisen trotzdem, wie Rodbertus feststellt, erstens allgemein und zweitens immer heftiger sind. Bildet ferner die „Lohnquote“ den einen Teil des Nationalprodukts, so der Mehrwert, nach Rodbertus, den anderen. Was an Kaufkraft der Arbeiterklasse abgeht, wächst als Kaufkraft. der Kapitalistenklasse an, wird v immer geringer, so m dafür immer größer. Nach dem eigenen kruden Schema von Rodbertus kann dadurch im ganzen die Kaufkraft der Gesellschaft nicht alteriert werden. Sagt er doch selbst: „Ich weiß wohl, daß schließlich dasjenige, um welches der Anteil der Arbeiter fällt, den Anteilen der Rentenbezieher (bei Rodbertus „Rente“ gleich Mehrwert – R. L.) zuwächst, daß also auf die Dauer und im ganzen die Kaufkraft sich gleichbleibt. Aber in bezug auf das zu Markt gebrachte Produkt ist schon immer die Krisis erfolgt, ehe jener Zuwachs sich geltend machen kann.“[1] Es kann sich also höchstens darum handeln, daß in demselben Maße wie in „ordinären Waren“ ständig ein Zuviel, in feineren Waren für die Kapitalisten ständig ein Zuwenig sich herausstellt. Rodbertus kommt hier unversehens auf eigentümlichen Pfaden zu der von ihm so hitzig bekämpften Theorie Say–Ricardos: der Überproduktion auf der

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[1] I. c.. Bd: I. S. 206. – [Fußnote im Original]