Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 192

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Wohnung, die drei Unternehmer aber haben ihre Magazine voll Kleider und Rohstoffe, sie haben Wohnungen leer stehen; sie klagen über Mangel an Absatz, während die Arbeiter umgekehrt über unzureichende Befriedigung ihrer Bedürfnisse klagen. Und woher illae lacrimae? Etwa weil, wie Say und Ricardo annahmen, von den einen Produkten zuviel und von den anderen zuwenig da sei? Mitnichten ! antwortet v. Kirchmann; in dem „Ort“ gibt es von allen Dingen eine wohlproportionierte Menge, die alle just ausreichen würden, um sämtliche Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen. Woher also „das Hemmnis“, die Krise? Das Hemmnis liegt einzig und allein in der Verteilung. Doch das will in eigenen Worten v. Kirchmanns genossen werden: „Das Hemmnis, daß dieses (glatter Austausch) dessenungeachtet nicht geschieht, liegt lediglich und allein in der Verteilung dieser Produkte; die Verteilung erfolgt nicht gleich unter alle, sondern die Unternehmer behalten als Zins und Gewinn die Hälfte für sich und geben nur die Hälfte an ihre Arbeiter. Es ist klar, daß der Kleiderarbeiter sich deshalb mit seinem halben Produkt auch nur die Hälfte der Produkte an Nahrung und Wohnung und so fort eintauschen kann, und es ist klar, daß die Unternehmer ihre andere Hälfte nicht loswerden können, weil kein Arbeiter noch ein Produkt hat, um sie von ihnen eintauschen zu können. Die Unternehmer wissen nicht wohin mit ihrem Vorrat, die Arbeiter wissen nicht wohin mit ihrem Hunger und ihrer Blöße.“ Und die Leser – fügen wir hinzu – wissen nicht wohin mit den Konstruktionen des Herrn v. Kirchmann. Das Kindische seines Beispiels stürzt uns in der Tat aus einem Rätsel ins andere.

Zunächst ist ganz unerfindlich, auf welcher Grundlage und zu welchem Zweck die Dreiteilung der Produktion fingiert ist. Wenn in den analogen Beispielen Ricardos und MacCullochs gewöhnlich die Pächter den Fabrikanten entgegengestellt werden, so ist das u. E. nur die antiquierte Vorstellung der Physiokraten von der gesellschaftlichen Reproduktion, die von Ricardo übernommen war, trotzdem sie mit seiner Werttheorie, die der physiokratischen entgegengesetzt war, jeden Sinn verloren hatte, und trotzdem schon Smith bedeutende Anläufe zur Berücksichtigung wirklicher sachlicher Grundlagen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses gemacht hatte. Immerhin haben wir gesehen, daß sich jene physiokratische Unterscheidung der Landwirtschaft und Industrie als Grundlagen der Reproduktion in der theoretischen Nationalökonomie traditionell erhalten hatte, bis Marx seine epochemachende Unterscheidung der beiden gesellschaftlichen Abteilungen: Produktion von Produktionsmitteln und Produktion von Konsummitteln, eingeführt hat. Hingegen haben die drei

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