Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 174

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bereits in seinen Briefen an Malthus gegen die Sismondische Auffassung polemisiert hatte, in einem Aufsatz unter dem Titel „Über das Gleichgewicht zwischen Konsumtion und Produktion“, worauf Sismondi seinerseits eine kurze Duplik veröffentlicht hat. Die Reihenfolge der polemischen Turniere war also eigentlich umgekehrt wie die Reihenfolge der theoretischen Abhängigkeiten. Denn es war Say, der zuerst jene Lehre von dem gottgewollten Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion Ricardo mitgeteilt und durch diesen auf MacCulloch vererbt hatte. Say stellte in der Tat schon im Jahre 1803 in seinem „Traité d’économie politique“ im Buch I, Kapitel XXII: „Von den Absatzmärkten“, den folgenden lapidaren Satz auf: „... man zahlt Produkte mit Produkten. Wenn deshalb eine Nation von einer Art Produkte zuviel hat, so besteht das Mittel, um sie abzusetzen, darin, Produkte anderer Art zu schaffen.“[1] Hier haben wir die bekannteste Formulierung der Mystifikation, die von der Ricardoschule wie von der Vulgärökonomie als der Eckstein der Harmonielehre akzeptiert wurde.[2] Das Hauptwerk Sismondis war im Grunde genommen eine fortlaufende Polemik gegen diesen Satz. Nunmehr, in der „Revue encyclopédique“, dreht Say den Spieß um und macht die folgende verblüffende Wendung: „Wenn man einwirft, daß jede menschliche Gesellschaft dank der menschlichen Intelligenz und dem Vorteil, den sie aus den Kräften, die ihr die Natur und die Künste darbieten, von allen Dingen, die sich zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse und zur Vermehrung ihrer Genüsse eignen, eine Menge produzieren kann, die größer ist, als diese Gesellschaft zu verbrauchen imstande ist, so möchte ich fragen, wie es kommt, daß wir keine Nation kennen, die vollständig versorgt ist, da selbst bei denen, die als blühend gelten, sieben Achtel der Bevölkerung

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[1] „L’argent remplit qu’un office passager dans ce double échange. Les échanges terminés, il se trouve qu'on a payé des produits avec des produits. En conséquence quand une nation a trop de produits dans un genre, le moyen de les écouler est d'en créer d’un autre genre.“ (J. B. Say: Traité d'économie politique, Bd. I, Paris 1803, S. 154.) – [Fußnote im Original]

[2] In Wirklichkeit gehörte Say auch hier nur die pretentiöse und dogmatische Fixierung des von anderen ausgesprochenen Gedankens. Wie Bergmann in seiner „Geschichte der Krisentheorien“ (Stuttgart 1895) darauf aufmerksam macht, finden sich bereits ganz ähnliche Äußerungen über die Identität zwischen Angebot und Nachfrage sowie über das natürliche Gleichgewicht beider bereits bei Josiah Tucker (1752), bei Turgot in dessen Anmerkungen zur französischen Ausgabe des Tuckerschen Pamphlets, bei Quesnay, Du Pont de Nemours und anderen. Trotzdem nimmt der „Jammermensch“ Say, wie ihn Marx einmal nennt, die Ehre der großen Entdeckung der „théorie des débouchés" als Oberharmoniker für sich in Anspruch und vergleicht sein Werk bescheiden mit der Entdeckung der Theorie der Wärme, des Hebels und der schiefen Ebene! (Siehe seine Einleitung und sein Sachregister zur 6. Auflage seines „Traité“, 1841: „C’est la théorie des échanges et des débouchés – telle qu’elle est développée dans cet ouvrage – qui changera la politique du monde“, S. 51 u. 616.) James Mill entwickelt dieselben Standpunkte in seinem 1808 erschienenen „Commerce defended“. Marx nennt ihn den eigentlichen Vater der Theorie von dem natürlichen Gleichgewicht zwischen Produktion und Absatz. – [Fußnote im Original]