Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 581

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Kampf mit den Sondergewalten des Mittelalters hervor: dem großen Adel, den Städten, Provinzen, geistlichen und weltlichen Korporationen. Zunächst handelt es sich ja gewiß um Vernichtung der selbständigen Kreise, welche sich der politischen Zusammenfassung hemmend in den Weg stellten. Aber im tiefsten Grunde der Bewegung, welche zur Ausbildung des fürstlichen Absolutismus führte, schlummert doch der weltgeschichtliche Gedanke, daß die neuen größeren Kulturaufgaben der Menschheit eine einheitliche Organisation ganzer Völker, eine große lebendige Interessengemeinschaft erforderten, und diese konnte erst auf dem Boden gemeinsamer Wirtschaft erwachsen.“[1]

Hier haben wir die schönste Blüte jener Bedientenhaftigkeit der Gedanken, die wir bei den deutschen Professoren der Nationalökonomie bereits kennengelernt haben. Nach Professor Schmoller ist die nationalökonomische Wissenschaft auf Kommando des aufgeklärten Absolutismus entstanden. Nach Professor Bücher ist gar die ganze kapitalistische Produktionsweise nur eine Frucht des souveränen Willens und der himmelstürmenden Pläne absolutistischer Fürsten. Nun heißt es den großen spanischen und französischen Despoten wie den kleinen deutschen Despötlein bitter unrecht tun, wenn man sie in Verdacht bringt, daß sie sich bei ihren Katzbalgereien mit den übermütigen Feudalherren am Ausgang des Mittelalters oder bei den blutigen Kreuzzügen gegen die niederländischen Städte um irgendwelche „weltgeschichtlichen Gedanken“ und „Kulturaufgaben der Menschheit“ gekümmert hätten. Ja, es heißt die geschichtlichen Dinge sogar auf den Kopf stellen.

Freilich war die Herstellung der zentralisierten bürokratischen Großstaaten eine unumgängliche Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsweise, sie war aber ihrerseits in demselben Maße nur eine Folge der neuen wirtschaftlichen Bedürfnisse, so daß man mit viel mehr Recht den Bücherschen Satz umdrehen und erklären könnte: die Ausbildung der politischen Zentralisation sei „im wesentlichen“ eine Frucht der heranreifenden „Volkswirtschaft“, das heißt der kapitalistischen Produktion.

Insofern aber der Absolutismus sein unbestreitbar Teil an diesem historischen Vorbereitungsprozeß gehabt hat, so hat er doch diese Rolle mit derselben stupiden Gedankenlosigkeit eines blinden Werkzeugs der geschichtlichen Entwicklungstendenzen gespielt, mit der er sich diesen Tendenzen auch bei jeder passenden Gelegenheit zu widersetzen wußte. So, wenn die mittelalterlichen Despoten von Gottesgnaden, die mit ihnen gegen die Feudalherren verbündeten Städte als bloße Erpressungsobjekte

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[1] Karl Bücher: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Vorträge und Versuche, Tübingen 1906, S. 136.