Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 55

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schäft braucht, auch tatsächlich vorfindet, erscheint dem Einzelkapitalisten wie seinem wissenschaftlichen Ideologen, dem Vulgärökonomen, ebenso selbstverständlich.

Anders bei der gesellschaftlichen Gesamtproduktion. Vom Standpunkte der Gesamtgesellschaft kann der Warenaustausch nur eine Translokation, einen allseitigen Platzwechsel der einzelnen Teile des Gesamtprodukts bewerkstelligen, er kann aber seine sachliche Zusammensetzung nicht ändern. Nach wie vor diesem Platzwechsel kann die Reproduktion des Gesamtkapitals nur dann stattfinden, wenn sich in dem aus der letzten Produktionsperiode hervorgegangenen Gesamtprodukt 1. genügende Produktionsmittel, 2. ausreichende Lebensmittel zur Erhaltung der früheren Anzahl Arbeitskräfte, 3., last not least, die erforderlichen Lebensmittel zur „standesgemäßen“ Erhaltung der Kapitalistenklasse nebst Zubehör vorfinden. Hier werden wir auf ein neues Gebiet geleitet: aus reinen Wertverhältnissen zu sachlichen Gesichtspunkten. Es kommt jetzt auf die Gebrauchsgestalt des gesellschaftlichen Gesamtprodukts an. Was dem Einzelkapitalisten völlig Hekuba[1], wird für den Gesamtkapitalisten ernste Sorge. Während für den Einzelkapitalisten gehupft wie gesprungen ist, ob die von ihm produzierte Ware Maschine, Zucker, künstlicher Dünger oder ein freisinniges Intelligenzblatt ist, vorausgesetzt nur, daß er sie an den Mann bringt, um sein Kapital nebst Mehrwert herauszuziehen, bedeutet es für den Gesamtkapitalisten unendlich viel, daß sein Gesamtprodukt eine ganz bestimmte Gebrauchsgestalt hat, und zwar, daß in diesem Gesamtprodukt dreierlei Dinge vorzufinden sind: Produktionsmittel zur Erneuerung des Arbeitsprozesses, einfache Lebensmittel zur Erhaltung der Arbeiterklasse und bessere Lebensmittel mit dem nötigen Luxus zur Erhaltung des Gesamtkapitalisten selbst. Ja, der Wunsch in dieser Hinsicht ist nicht allgemein und vag, sondern ganz exakt quantitativ bestimmt. Fragen wir, wie groß die Mengen der vom Gesamtkapitalisten benötigten Dinge aller drei Kategorien sind, so bekommen wir einen genauen Voranschlag – vorausgesetzt immer die einfache Reproduktion, die wir als Ausgangspunkt nehmen – in der Wertzusammensetzung des Gesamtprodukts des letzten Jahres. Die Formel c + v + m, die wir bis jetzt so gut für das Gesamtkapital wie für das Einzelkapital als eine bloße quantitative Einteilung des Gesamtwertes, d. h. der im Jahresprodukt der Gesellschaft steckenden Arbeitsmenge, aufgefaßt haben, erscheint jetzt zugleich als die gegebene Grundlage der sachlichen Einteilung des Produkts. Es ist klar, daß, um

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[1] Die Redewendung „Das ist mir Hekuba“ bedeutet „Das liegt mir fern, das ist mir gleichgültig“, abgeleitet von William Shakespeare: Hamlet, Zweiter Aufzug, zweite Szene.