Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 542

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Und begreifen Sie nicht, Herr Schulze, daß dies die notwendige und immer mehr um sich greifende ,Form und Art der Arbeitsverrichtung‘ ist in einer Gesellschaft, in welcher sich die Teilung der Arbeit so weit entwickelt hat wie in der modernen Gesellschaft?“[1]

Was Lassalle hier Schulzen von dem kapitalistischen Privatbetrieb klarzumachen sucht, trifft heute mit jedem Tage mehr auf die Wirtschaftsweise so stark entwickelter kapitalistischer Länder zu wie England, Deutschland, Belgien, die Vereinigten Staaten, in deren Fußtapfen die übrigen Länder, eines nach dem anderen, treten. Und die Irreführung der Arbeiter durch den fortschrittlichen Patrimonialrichter aus Bitterfeld war nur viel naiver, aber nicht gröber als die tendenziöse Polemik eines Bücher oder eines Sombart heute gegen den Begriff der Weltwirtschaft.

Ein deutscher Professor liebt als pünktlicher Beamter in seinem Ressort die Ordnung. Der Ordnung zuliebe pflegt er auch die Welt hübsch sauber in die Schubfächer eines wissenschaftlichen Schemas einzuschachteln. Und genau wie er seine Bücher auf den Regalen aufstellt, so hat er auch die verschiedenen Länder auf zwei Regale verteilt: hier Länder, die Industrieprodukte herstellen und davon „einen Überschuß“ haben; dort Länder, die Landbau und Viehzucht treiben und deren Rohprodukte jenen anderen Ländern mangeln. Daraus entsteht und darauf beruht der internationale Handel.

Deutschland ist eines der industriellsten Länder der Welt. Nach dem Schema müßte es den regsten Austausch mit einem agrarischen Großstaat wie Rußland führen. Wie kommt es nun, daß Deutschlands wichtigste Partner im Handel die beiden anderen industriellsten Länder: die Vereinigten Staaten von Amerika und England, sind? Der Austausch Deutschlands mit den Vereinigen Staaten belief sich nämlich 1913 auf 2,4 Milliarden Mark, mit England auf 2,3 Milliarden; Rußland kommt erst an dritter Stelle in Betracht. Und speziell was die Ausfuhr betrifft, so ist gerade der erste Industriestaat der Welt der größte Abnehmer für die deutsche Industrie: mit 1,4 Milliarden Mark Jahreseinfuhr aus Deutschland steht England an der Spitze und läßt alle anderen Staaten weit hinter sich. Das britische Reich mit seinen Kolonien aber nimmt ein ganzes Fünftel der gesamten deutschen Ausfuhr auf. Was sagt das professorale Schema zu diesem merkwürdigen Phänomen?

Hie Industriestaat – dort Agrarstaat, dies ist das starre Gerippe der

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[1] Ferdinand Lassalle: Herr Bastiat – Schulze von Delitzsch, der ökonomische Julian, oder Kapital und Arbeit. In: Ferd. Lassalle’s Reden und Schriften. Neue Gesammt-Ausgabe. Mit einer biographischen Einleitung hrsg. von Ed. Bernstein, Dritter Band, Berlin 1893, S. 72–75.