Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 525

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klingt, so ist es doch Tatsache, daß die meisten Fachgelehrten der Nationalökonomie einen sehr verschwommenen Begriff davon haben, was der wirkliche Gegenstand ihrer Gelehrsamkeit ist.

Da es Brauch bei den Herren Fachgelehrten, mit Definitionen zu arbeiten, das heißt das Wesen der kompliziertesten Dinge in einigen wohlgeordneten Sätzen zu erschöpfen, so versuchen wir zur Probe von einem amtlichen Vertreter der Nationalökonomie zu erfahren, was diese Wissenschaft im Grunde genommen sei. Hören wir zunächst, was der Senior der deutschen Professorenwelt, der Verfasser einer Unzahl erschreckend dicker Lehrbücher über die Nationalökonomie, der Begründer der sogenannten „historischen Schule“, Wilhelm Roscher, darüber zu sagen weiß. In seinem ersten großen Werke „Grundlagen der Nationalökonomie. Ein Hand- und Lesebuch für Geschäftsmänner und Studierende“, das 1854 erschienen ist und seitdem 23 Auflagen erlebt hat, lesen wir im 2. Kapitel, Paragraph 16:

„Wir verstehen unter Nationalökonomik, Volkswirtschaftslehre, die Lehre von den Entwicklungsgesetzen der Volkswirtschaft, des wirtschaftlichen Volkslebens (Philosophie der Volkswirtschaftsgeschichte nach von Mangoldt). Sie knüpft sich, wie alle Wissenschaften vom Volksleben, einerseits an die Betrachtung des einzelnen Menschen an; sie erweitert sich auf der anderen Seite zur Erforschung der ganzen Menschheit.“[1]

Verstehen nun die „Geschäftsmänner und Studierenden“, was die Volkswirtschaftslehre ist? Es ist eben – die Lehre von der Volkswirtschaft. Was ist eine Hornbrille? Eine Brille in Horneinfassung. Was ist ein Packesel? Ein Esel, auf den Lasten gepackt werden. Ein höchst einfaches Verfahren in der Tat, um kleinen Kindern den Gebrauch zusammengesetzter Worte zu erläutern. Das Üble dabei ist nur, daß, wer vorher den Sinn der fraglichen Worte nicht verstand, auch nicht klüger wird, ob die Worte so oder anders gestellt werden.

Wenden wir uns an einen anderen deutschen Gelehrten, an den jetzigen Lehrer der Nationalökonomie an der Berliner Universität, der eine Leuchte der amtlichen Wissenschaft ist, berühmt „weit über die Lande, bis an das blaue Meer“, an den Professor Schmoller. In dem großen Sammelwerk deutscher Professoren „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“, herausgegeben von Professor Conrad und Professor Lexis, gibt Schmoller in einem Aufsatz über die Volkswirtschaftslehre auf die Frage, was diese Wissenschaft sei, die folgende Antwort: „Ich möchte sagen, sie ist die

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[1] Wilhelm Rochet: Grundlagen der Nationalökonomie. Ein Hand- und Lesebuch für Geschäftsmänner und Studierende, Stuttgart 1900. S. 41.