Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 429

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in der Landwirtschaft noch zahlreiche handwerksmäßige und bäuerliche Betriebe, die einfache Warenproduktion betreiben. In Wirklichkeit gibt es neben alten kapitalistischen Ländern noch in Europa selbst Länder, in denen bäuerliche und handwerksmäßige Produktion bis jetzt sogar stark überwiegen, wie Rußland, der Balkan, Skandinavien, Spanien. Und endlich gibt es neben dem kapitalistischen Europa und Nordamerika gewaltige Kontinente, auf denen die kapitalistische Produktion erst auf wenigen zerstreuten Punkten Wurzeln geschlagen hat, während im übrigen die Völker jener Kontinente alle möglichen Wirtschaftsformen von der primitiv kommunistischen bis zur feudalen, bäuerlichen und handwerksmäßigen aufweisen. Alle diese Gesellschafts- und Produktionsformen bestehen und bestanden nicht bloß im ruhigen räumlichen Nebeneinander mit dem Kapitalismus, vielmehr entwickelte sich von Anbeginn der kapitalistischen Ära zwischen ihnen und dem europäischen Kapital ein reger Stoffwechsel ganz eigener Art. Die kapitalistische Produktion ist als echte Massenproduktion auf Abnehmer aus bäuerlichen und Handwerkskreisen der alten Länder sowie auf Konsumenten aller anderen Länder angewiesen, während sie ihrerseits ohne Erzeugnisse dieser Schichten und Länder (sei es als Produktions-, sei es als Lebensmittel) technisch gar nicht auskommen kann. So mußte sich von Anfang an zwischen der kapitalistischen Produktion und ihrem nichtkapitalistischen Milieu ein Austauschverhältnis entwickeln, bei dem das Kapital sowohl die Möglichkeit fand, den eigenen Mehrwert für Zwecke weiterer Kapitalisierung in blankem Gold zu realisieren, als sich mit allerlei nötigen Waren zur Ausdehnung der eigenen Produktion zu versehen, endlich durch Zersetzung jener nichtkapitalistischen Produktionsformen immer neuen Zuzug an proletarisierten Arbeitskräften zu gewinnen.

Dies aber nur der nackte ökonomische Inhalt des Verhältnisses. Seine konkrete Gestaltung in der Wirklichkeit bildet den historischen Prozeß der Entwicklung des Kapitalismus auf der Weltbühne mit all seiner bunten und bewegten Mannigfaltigkeit.

Denn zunächst gerät der Austausch des Kapitals mit seiner nichtkapitalistischen Umgebung auf die Schwierigkeiten der Naturalwirtschaft, der gesicherten sozialen Verhältnisse und der beschränkten Bedürfnisse der patriarchalischen Bauernwirtschaft sowie des Handwerks. Hier greift das Kapital zu „heroischen Mitteln“, zur Axt der politischen Gewalt. In Europa selbst ist seine erste Geste – die revolutionäre Überwindung der feudalen Naturalwirtschaft. In den überseeischen Ländern ist die Unterjochung und Zerstörung der traditionellen Gemeinwesen die erste Tat, der

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