Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 512

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ja richtig sind. Aber erst die Zusammenfassung der Einzelheiten zeigt, wer die Schuld an den Krisen trägt: nämlich die ganze ungeregelte kapitalistische Produktion.

Tugan-Baranowski, der früher Marxist war, jetzt Revisionist ist, bemerkt zu der Krisentheorie von Marx:

Die Krisenherde liegen in den sogenannten schweren Industrien: Kohlen-, Eisen-, Maschinenindustrie. Diese Industrien schaffen direkte Produktionsmittel. Die Krisen entstehen nach Tugan-Baranowski durch die Disproportionalität, d. h. durch das mangelnde Verhältnis zwischen den Industriezweigen, in denen Produktionsmittel hergestellt werden, und denen, in denen Konsummittel geschaffen werden.[1]94

Was die letzten Jahre anbelangt, so stimmt das von Tugan-Baranowski Gesagte. Was bedeutet aber dieses mangelnde Verhältnis? Wenn Baranowski nichts anderes wollte, als das näher zu spezialisieren und festzustellen, so hat er recht. So sind wir aber auch keinen Schritt weiter gekommen. Will aber Baranowski damit sagen, daß es auf dem Boden der heutigen Gesellschaft ein Mittel gibt, ein richtiges Verhältnis zwischen diesen Industriezweigen herzustellen, so ist das eine rein utopistische Darstellung.

Der Versuch Baranowskis ist so ein ziemlich zweideutiger und unklarer.

Trotz ihrer Verschwommenheit ist diese Theorie von der deutschen Gelehrtenwelt begrüßt worden. Namentlich Professor Sombart hat sie 1903 auf der 30. Generalversammlung des Vereins für Socialpolitik in einem Vortrag behandelt.[2] In diesem Vortrag hat er seitens der deutschen Wissenschaft die Theorie von Baranowski angenommen. Er hat sie noch zu modifizieren gesucht. Er sagte, eigentlich ergeben sich die Krisen aus dem Mangel an Verhältnis zwischen den Produktionszweigen, die anorganische Stoffe herstellen, und den Zweigen, die organische Stoffe herstellen. Unter organischen Stoffen versteht Professor Sombart anscheinend Lebensmittel, unter anorganischen Stoffen Kohlen usw. Dieser Versuch Sombarts ist nicht mehr Ernst zu nehmen, denn das ist nicht mehr nationalökonomisch.

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[1] Siehe Michael von Tugan-Baranowski: Studien zur Theorie und Geschichte der Handelskrisen in England, Jena 1901, S. 197 ff.

[2] Der Verein für Socialpolitik wurde 1873 gegründet. Sein Sitz befand sich in Frankfurt am Main. Dem Verein gehörten Ökonomen wie Gustav von Schmoller (Vorsitzender 1890–1917), Adolph Wagner, Lujo Brentano, Karl Bücher, Karl Diehl, Ignaz Jastrow, Wilhelm Lexis, Friedrich Naumann, Gerhart von Schulze-Gaevernitz, Werner Sombart, Ferdinand Tönnies, Max Weber und Julius Wolf (Doktorvater von Rosa Luxemburg) an. Sie forderten das Eingreifen des bürgerlichen Staates zur Minderung der sozialen Gegensätze durch Reformen. Der Verein gab die Schriften des Vereins für Socialpolitik heraus. Auf der Generalversammlung des Vereins vom 14. bis 16. September 1903 in Hamburg hielt Werner Sombart das Referat über die Krise im Jahre 1903. Siehe Im Rate der Gelehrten. In: GW, Bd. 1/Zweiter Halbbd., S. 382 ff.