Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 566

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Handschriftliche Änderungsvorschläge zu Clara Zetkins Entwurf für Leitsätze zur sozialistischen Jugendorganisation von 1908

[1]

I.

Die sozialistische Jugendbewegung kommt in allen Ländern mit kapitalistischer Wirtschaft spontan in Fluß. Sie ist das Ergebnis einerseits der durch die kapitalistische Produktionsweise erzeugten wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen in ihrer Rückwirkung auf das Einkommen, den Haushalt die materielle u. geistige Lage sowie auf das Familienleben und die Bildung des Proletariats, damit auf seine Fähigkeit zum Unterhalt und zur Erziehung des Nachwuchses, wie auch andererseits der Rückwirkung dieser Umstände zusammen auf die Revolutionierung der Stellung und des Bewußtseins der proletarischen Jugend selbst.

II.

Begünstigt durch die Not des Proletariats und die technischen Fortschritte der Produktion verwandelt das Ausbeutungsbedürfnis des Kapitals die jugendlichen Proletarier aus schutz- und erziehungsbedürftigen Angehörigen der Familie in selbständig erwerbende Lohnarbeiter in der Gesellschaft. Damit wird die Basis ihrer wirtschaftlichen Existenz aus der Familie in die Gesellschaft verlegt und von Grund aus das alte Verhältnis zwischen Eltern und Kindern umgewälzt, das auf dem absoluten Befehlsrecht der ersteren als wirtschaftlich Erhaltenden und der ebenso absoluten Gehorsamspflicht der letzteren als wirtschaftlich Erhaltener beruhte. Die frühe wirtschaftliche Selbständigkeit der jugendlichen Proletarier hat ihre frühe geistige, moralische und soziale Selbständigkeit zur Folge. Die Pflicht, ja der Zwang zur Selbsterhaltung zieht das Recht der Selbstbestimmung nach sich, das seinerseits die Möglichkeit zu freier, gesunder Entfaltung aller körperlichen und geistigen Kräfte des Einzelnen in sich begreift.

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[1] Überschrift der Redaktion. – Rosa Luxemburg fand die Sendung mit den Leitsätzen vor, als sie von einem Vortrag am 29. August 1908 in Schwiebus (Swiebodzin) zurückkam. Postwendend schickte sie ihre Bemerkungen am 30. August 1908 an Clara Zetkin. Die Leitsätze seien ausgezeichnet, schrieb sie, „großartig, gründlich, scharf und temperamentvoll. Da Du Kritik wünschst und ich ein Pedant bin, so habe ich einiges gestrichen und Bemerkungen angefügt, wo es mir nicht klar genug oder mißdeutig erschien. Du kannst die Bemerkungen ruhig in den Korb werfen.“ Siehe GB, Bd. 2, S. 379.

Rosa Luxemburgs Änderungsvorschläge sind kursiv gesetzt, Streichungen wie üblich ausgeführt. Unterstreichungen markieren ihre Hervorhebungen.