Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 103

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Zum 1. Mai 1907

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Der Weltfeiertag der Arbeit, dieses Symbol der internationalen Solidarität des Proletariats, rückt heran, und die herrschenden Klassen beeilen sich selbst, uns in allen Ländern die Internationalität des Klassenkampfes in fühlbarer Weise vorzudemonstrieren. In Frankreich – die polizeiliche „Rettungsaktion“ gegen die Gewerkschaften, wodurch das radikale Cabinet Clémenceau der Bourgeoisie zu beweisen sucht, daß es als Wächter der heiligen Ordnung der kapitalistischen Ausbeutung mit dem Cabinet Constans getrost aufnehmen kann. In Deutschland – eine umfassende Aussperrungsaktion des koalierten Kapitals gegen die Arbeiterschaft, wodurch das Rückgrat der Bewegung, die Macht der Organisation, gebrochen werden soll. In Rußland – gewaltige Vorbereitungen der Konterrevolution zu einem offenen entscheidenden Rencontre mit den revolutionären Volksmassen. Überall eine merkliche Verschärfung des Klassenkampfes, wenn auch in verschiedenem Grade u. in verschiedenen Formen.

Gerade daraus ergibt sich zunächst die Schwierigkeit, die Maifeier auch äußerlich in ihrer eigentlichen Form, durch eine massenhafte Arbeitseinstellung, in diesem Jahre so zu feiern, wie es der Stimmung der erbitterten Arbeitermassen namentlich in Deutschland entsprechen würde. Die Bourgeoisie befürchtet zwar nicht mehr, wie in den ersten Jahren der Maifeier, die bloße Idee des 1. Mai sei bereits der Anfang vom Ende der kapitalistischen Welt. Sie vermag aber auch nicht mehr den 1. Mai als friedliche Manifestation des sozialistischen Gedankens mit mehr oder weniger Seelenruhe hinzunehmen, wie dies im letzten Jahrzehnt beinahe der Fall war. Die Zuspitzung des wirtschaftlichen und politischen Klassenkampfes, das enorme Wachstum der proletarischen Organisation und des Klassenbewußtseins in allen Ländern, endlich die Große Russische Revolution, alles dies hat die Nervosität der bürgerlichen Klassen erregt, ihre Angst und ihren Haß gegen das sozialistische Proletariat entfacht. Wie in den ersten Jahren begegnet die Maifeier wieder dem tiefsten Mißtrauen und den brutalsten Provokationen der bürgerlichen Welt.

Um so größer aber auch deshalb die Bedeutung dieser Demonstration für die kämpfende Arbeiterklasse. Nicht einem Niedergang, nein, einem machtvollen Aufschwung der Idee des 1. Mai gehen wir entgegen. Denn indem sie den intern[ationa-

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[1] Überschrift der Redaktion.