Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 105

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Vortragszyklus zur Einführung in die Nationalökonomie im Oktober/November 1907 in sechs öffentlichen Versammlungen der deutschen Sozialdemokratie in Berlin

[1]

I.

18. Oktober 1907 – Die zweite Vortragsreihe über Nationalökonomie[2]

Nach einem Zeitungsbericht

Die Vortragende, Genossin Rosa Luxemburg, erörterte nun in zweistündigen Ausführungen ungefähr folgenden Gedankengang. Wir wollen uns zunächst klarmachen, was Nationalökonomie ist. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht so einfach, wie es scheinen könnte. Die offiziellen Vertreter der Nationalökonomie, die bürgerlichen Professoren, sind sich am wenigsten klar über diese Frage. Die Ansicht darüber, was

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[1] Überschrift der Redaktion. – Die Vorträge hielt sie im „Deutschen Hof“ in Berlin-Kreuzberg, Luckauer Str. 5. Nach den Polizeiberichten nahmen 3500 Männer und 1100 Frauen teil. „Der Besuch war ein vorzüglicher, das Interesse der Hörenden und Lernenden blieb bis zum Schluß ein ungeteiltes“, heißt es im Jahresbericht des Verbandes sozialdemokratischer Wahlvereine für Berlin und Umgegend, S. 7. Über den Wert von ökonomischen Kenntnissen hatte sie im März 1907 an Kostja Zetkin geschrieben: „Mit dem gründlichen Studium der Nationalökonomie tust Du auf jeden Fall recht; was Du auch immer wirst und nach welcher Richtung Du Dich auch entwickeln magst, die Nationalökonomie ist als Grundlage der sozialen Bildung unentbehrlich.“ GB, Bd. 2, S. 281. Am 1. Oktober hatte Rosa Luxemburg außerdem an der Parteischule der deutschen Sozialdemokratie in Berlin ihre Lehrtätigkeit über Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie begonnen. Siehe Annelies Laschitza: Im Lebensrausch, trotz alledem. Rosa Luxemburg. Eine Biographie, Berlin 2009, S. 286 ff.

[2] Ursprünglich waren für den Herbst 1907 mit Rosa Luxemburg zwei öffentliche Vortragszyklen zu je sechs Veranstaltungen im Rahmen des Verbandes der Berliner Wahlvereine und Umgegend vorgesehen. Dazu wurden Teilnehmerkarten zu 60 Pfennig ausgegeben. Das ausgedruckte Programm lautete: „Einführung in die Nationalökonomie. Was ist Nationalökonomie? 1. Die gesellschaftliche Arbeit. 2. Der Austausch. 3. Die Lohnarbeit. 4. Die Herrschaft des Kapitals. 5. Die Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft.“ Durch die Parteischultätigkeit ab 1. Oktober 1907 war es ihr unmöglich, zweimal in der Woche, montags und freitags, die öffentlichen Vorträge zu halten. Die montägliche Vortragsreihe übernahm Hermann Molkenbuhr; sie fand ab 14. Oktober in den Germaniasälen in Berlin-Schöneberg statt, die der Vorwärts alle dokumentierte. Auch bei ihm fanden sich viele Teilnehmer ein. Während sich Rosa Luxemburg auf intensive Studien stützen konnte, notierte Molkenbuhr in sein Tagebuch: „Da die Polizei Hilferding und Pannekoek das Unterrichten verbietet und R. Luxemburg einspringen muß, muß ich an ihrer Stelle ökonomische Vorträge halten, also wieder mal Marx’ ‚Kapital‘ lesen. Ich muß wieder das studieren, was früher so manche Schwierigkeiten machte. Nur wenn man sich genau an das Werk hält, entdeckt man die Stellen, die so große Schwierigkeiten machen. Das Lesen des Werkes bereitet großen Genuß, aber zum Verzweifeln ist es, wenn man in sechs Abenden den wesentlichen Inhalt wiedergeben soll. Man kann nur einen dürftigen Abklatsch des Gerippes wiedergeben.“ Bernd Braun, Joachim Eichler (Hrsg.): Arbeiterführer, Parlamentarier, Parteiveteran. Die Tagebücher des Sozialdemokraten Hermann Molkenbuhr 1905 bis 1927. Mit einer Einleitung von Bernd Braun, München 2000, S. 86.

Am 3., 10., 17., und 24. Oktober 1913 veranstaltete der Bildungsausschuß mit Rosa Luxemburg abermals einen Vortragszyklus im Reichstagswahlkreis Berlin II. Unter dem Thema Imperialismus und Militarismus wollte sie laut Vorwärts (Berlin), Nr. 260 vom 5. Oktober 1913, „die auf Machtausdehnung gerichtete, zu immer tolleren Kriegsrüstungen treibende Weltpolitik beleuchten und den Zusammenhang dieser wachsenden Zuspitzung internationaler Gegensätze mit der kapitalistischen Entwicklung darlegen“.