Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 106

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Nationalökonomie ist, bildet schon einen gewaltigen Streitpunkt zwischen den Marxisten und den bürgerlichen Nationalökonomen. Was ist vom marxistischen im Unterschied zum bürgerlichen Standpunkt unter Nationalökonomie zu verstehen? Schon über die Frage, wie alt die nationalökonomische Wissenschaft ist, herrschen unter den Nationalökonomen die verschiedensten Ansichten. Der Franzose Adolphe Blanqui schrieb 1837, schon bei den alten Griechen und Römern habe es eine Nationalökonomie gegeben.[1] Eugen Dühring verlegte den Anfang der nationalökonomischen Wissenschaft in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.[2] Lassalle schrieb 1864, die Nationalökonomie sei eine erst am Anfang stehende Wissenschaft.[3] Karl Marx dagegen bezeichnete sein „Kapital“, dessen erster Band 1867 erschien, als Kritik der politischen Ökonomie. Er betrachtete also die Nationalökonomie als etwas bereits Fertiges, das er nun kritisierte.

Die Bezeichnung „Nationalökonomie“, zu deutsch: Volkswirtschaftslehre, ist irreführend, denn kein Volk, keine Nation führt eine in sich abgeschlossene Wirtschaft, sondern in Wirklichkeit ist es so, daß alle Völker miteinander eine gemeinschaftliche Wirtschaft führen. Die bürgerlichen Nationalökonomen nehmen gewöhnlich an, der urständige Boden des wirtschaftlichen Lebens sei das Volk, die Nation; die Bedürfnisse würden in der Hauptsache durch die Wirtschaft eines jeden Volkes selbst befriedigt und nur der Überschuß von Produkten werde an andere Völker abgegeben. Diese Anschauung ist jedoch nicht zutreffend. Welche große Bedeutung der Güteraustausch im wirtschaftlichen Leben der Völker hat, das läßt sich unter anderem besonders an der Baumwollindustrie nachweisen. Sie begann im 18. Jahrhundert in England und setzte bald die Handweberei auf den Aussterbeetat. Den Rohstoff für die Baumwollindustrie in England lieferten die Plantagen in den nordamerikanischen Südstaaten. Für die schwere Arbeit in den Baumwollplantagen wurden die aus Afrika eingeführten Negersklaven verwendet. Der Sklavenhandel entwickelte sich infolgedessen so stark, daß bis zum Jahre 1864 4000000 Negersklaven in Amerika eingeführt worden sind. Eine Folge der Sklavenarbeit war der Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten Nordamerikas. Der Krieg veranlaßte eine starke Verminderung

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[1] Siehe Adolphe Blanqui: Histoire de l’économie en Europa, depuis les anciens jusqué à nos jours, Paris 1837.

[2] Siehe Eugen Dühring: Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Leipzig 1899, S. 16.

[3] Siehe Ferdinand Lassalle: Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Julian oder Kapital und Arbeit. In: Ferd. Lassalle’s Reden und Schriften. Neue Gesamt-Ausgabe. Mit einer biographischen Einleitung hrsg. von Ed. Bernstein, Dritter Band, Berlin 1893, S. 18.