Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 101

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Rede am Grabe von Ignaz Auer im Auftrage der SDAPR

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Nach einem Zeitschriftenbericht

Die russische Sozialdemokratie, das jüngste Mitglied in der großen Familie des internationalen Proletariats, ist darauf angewiesen, von ihren älteren Geschwistern in Westeuropa und vor allem von der deutschen Sozialdemokratie sowohl in der Theorie und in der Praxis wegweisende Lehren zu schöpfen. Die russische Sozialdemokratie ist deshalb international, nicht nur in ihrem Geiste, in ihrem Endziel, in ihren Kampfesmitteln, sondern sie ist sozusagen verwachsen mit der großen Internationale des revolutionären Proletariats. Sie steht namentlich zu der deutschen Sozialdemokratie in dem warmen, persönlichen Verhältnis des dankbaren Schülers zum alten geliebten Lehrer. Deshalb sind nicht nur die großen Lehrmeister der Theorie, sondern auch die Wegweiser und Bannerträger des praktischen Kampfes der deutschen Sozialdemokratie bekannte liebgewordene Namen in Rußland, nahe vertraute Gestalten für die russischen Proletarier. In der ersten Reihe dieser Namen ragt die große Gestalt Ignaz Auer hervor. Ich kann ohne jede Übertreibung sagen, obwohl der große Verstorbene in all seiner Bescheidenheit es wohl kaum ahnte, daß es in dem großen russischen Reiche keinen noch so entlegenen Winkel gibt, wo der Name Ignaz Auer nicht zu den geliebtesten der Kämpfer der Revolution gehört. Es war noch etwas Besonderes an der markigen Gestalt unsres verstorbenen Führers, was die Blicke der russischen Kämpfer fesselte und ihnen diese Gestalt lieb und teuer machen mußte. Ignaz Auer war und blieb ein echter Sohn des Volkes, ein einfacher Proletarier im bescheidenen Kleide, der sich durch seine glänzende Begabung, durch den höchsten Idealismus, durch die riesenhafte Energie zu der hohen Stelle eines Parteiführers großen Stils empor gerungen hatte und der auch auf den höchsten Zinnen der Partei nicht nur in der engsten Fühlung mit der Proletariermasse blieb, sondern direkt ein Stück von ihr war. Die russische Arbeiterbewegung hat in den furchtbaren Kämpfen und Opfern der Revolution noch nicht die Zeit gehabt, solche Söhne aus der Mitte des Volkes emporzuheben. Wir sind uns aber alle darüber klar, daß Rußlands Befreiung erst dann möglich sein wird, wenn die proletarische Masse imstande sein wird, nicht nur todesmutige, begeisterte Soldaten, sondern auch Feldherren zu stellen, Strategen und Führer von diesem Weitblick, dieser Tiefe, Sicherheit, revolutionären Energie und diesem ungebrochenem Mute wie Ignaz Auer. Erst dann wird die Sache des

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[1] Überschrift der Redaktion. – Ignaz Auer, Mitglied des Parteivorstandes der deutschen Sozialdemokratie, war am 10. April 1907 verstorben