Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 86

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Die Aussperrung der Textilarbeiter in Łódź

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Seit die Konterrevolution Oberwasser gewann, ist die Unternehmerschaft im ganzen russischen Reiche eifrig daran, die wirtschaftlichen Verbesserungen, die sie den Arbeitern zugestehen mußte, rückgängig zu machen. In dem zentralrussischen Industriegebiet wie in Petersburg haben die Arbeiter derartigen Attentaten keinen großen Widerstand entgegensetzen können und es kam dort nicht zu großen wirtschaftlichen Kämpfen. Anders in Russisch-Polen. Mit derselben zähen Ausdauer und revolutionärem Elan, mit dem die Fabrikproletarier den politischen Kampf führen, haben sie auf wirtschaftlichem Gebiete ihre Interessen verteidigt, und ganz besonders in Łódź waren die verflossenen zwei Jahre eine Zeit ununterbrochener Kämpfe. Es ist nahezu selbstverständlich, daß die Arbeiter nicht immer geschickt manövrierten, daß vielfach Fehler gemacht wurden. Es kam vor, daß die Arbeit eingestellt wurde, ehe überhaupt Forderungen formuliert waren, oft genug waren die Forderungen unklar und verworren. Wie könnte es auch anders sein, wenn die wirtschaftlichen Organisationen erst im Anfangsstadium sich befinden, wenn die Arbeiter keine öffentlichen Versammlungen abhalten können und ihnen keine Presse zur Verfügung steht. Zu bewundern ist vielmehr, daß unter diesen Bedingungen der Kampf nicht in rohe Zerstörungswut ausartete. Wir betonen: Nicht ein Fall von Zerstörung der Maschinen usw. ist in dieser Zeit in Łódź wie überhaupt in Polen vorgekommen, während doch derartige Vorkommnisse in keinem Lande in ähnlichen Situationen ausblieben. Es ist dies zweifellos das Verdienst der Sozialdemokratischen Partei, deren moralischer Einfluß stark genug ist, um die Arbeiter von Exzessen abzuhalten, um im Getümmel des Kampfes rohe Ausschreitungen zu verhüten.

Gegen Ende des vergangenen Jahres haben nun die Kapitalmagnaten des polnischen Manchesters zu einem entscheidenden Schlage ausgeholt: Sie bereiteten eine allgemeine Aussperrung der Arbeiter in den Textilfabriken vor. – Die Situation schien ihnen günstig. Die Konjunktur in der Textilindustrie Rußlands ist gedrückt, der Absatz gering. Es ist das eine direkte Folge der Stockung des Kredits und der Hungers-

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[1] Der Artikel erschien anonym. Ihre Autorschaft ist in der RL-Bibliographie von Feliks Tych, 1962 (Jadwiga Kaczanowska przy konsultacji i wspólprácy Feliksa Tycha: Bibliografia Pierwodruków Rózy Luksemburg. Nadbitka Z pola walki, kwartalnik Poswiecony Dziejom Ruchu Robotniczego, Warschau 1962 Nr. 3 [19]), unter Nr. 412 ausgewiesen. Rosa Luxemburg verfolgte die Ereignisse in Łódź seit Beginn ihrer politischen Tätigkeit mit großem Interesse und Engagement. Siehe Der Sozialismus in Polen. In: GW, Bd. 1, Erster Halbbd., S. 82 ff.; Rosa Luxemburg: Eine Riesendemonstration in Łódź, Streikrevolution in Łódź und Die Straßenschlacht in Łódź. In: GW, Bd. 6, S. 543 ff., 546 ff. und 549 ff.