Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 85

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Cosel [Welkie Strzelce-Koz´le], ist mit Rücksicht auf die dort zahlreich vorhandenen Bauhandwerker der Gauleiter des Maurerverbandes für Oberschlesien, Baude, ein Deutscher, von den Genossen aufgestellt worden. Lebhaftes Interesse und starker Eifer zeigt sich bei diesen Wahlen überall auch in Oberschlesien, das Verlangen nach sozialdemokratischen Flugblättern und Stimmzetteln kommt aus weltverlorenen oberschlesischen Orten so zahlreich, daß wir im ganzen gewiß auf einen erheblichen Stimmenzuwachs werden rechnen dürfen.

So wenig wie das Zentrum haben auch die Hakatisten[1], die hier identisch sind mit den Grubenkapitalisten, der sogenannten „Hüttenpartei“, zu hoffen, obwohl sie, im Gegensatz zum kleinlaut gewordenen Zentrum, den Mund in echt „patriotischer“ Schneidigkeit sehr voll nehmen. Sowohl im Wahlkreise Kattowitz wie in Beuthen-Tarnowitz hat die Hüttenpartei ihre Kandidaten, zwei hohe Beamte der Grubenbarone, aufgestellt. Und die „Freisinnigen“[2] haben sich nach längerem Sträuben für „diesmal noch“ entschlossen, diese in der Wolle gefärbten konservativen Kandidaten zu unterstützen, in der vagen Hoffnung, daß ihnen das Grubenkapital bei den nächsten Landtagswahlen eines von den drei Mandaten des Industriebezirkes gütigst zukommen lassen werde, als Trinkgeld gewissermaßen für die jetzt bewiesene Bedientenhaftigkeit. Natürlich wird man die Jammerkerle um den Lohn ihrer Gesinnungslosigkeit betrügen, aber deshalb bleiben sie doch unentwegt treue Freisinnsmannen, die gehorsam für erzkonservative Reaktionäre an die Wahlurne treten, besser kriechen!

Vorwärts (Berlin),

Nr. 13 vom 16. Januar 1907.

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[1] Gemeint ist der 1894 gegründete Verein zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken, ab 1899 Deutscher Ostmarkenverein, nach den Anfangsbuchstaben seiner Gründer, Ferdinand von Hansemann, Hermann Kennemann und Heinrich von Tiedemann-Seeheim, auch Hakatistenverein genannt. Er vertrat eine rücksichtslose wirtschaftliche und politische Unterdrückungspolitik gegenüber den Polen in den östlichen Provinzen des Deutschen Reiches und strebte die territoriale Expansion nach dem Osten an.

[2] Der Freisinn existierte zwischen 1893 und 1910 als Freisinnige Volkspartei und als Freisinnige Vereinigung. Die zwei Parteien des Freisinns waren infolge der Differenzen über die Stellung zur Militärvorlage von 1892/1893 aus der Spaltung der Deutschen Freisinnigen Partei hervorgegangen. Die Freisinnige Volkspartei war eine kleinbürgerlich-liberale Partei und die eigentliche Nachfolgerin der Deutschen Fortschrittspartei von 1861. Diese hatte sich in ihrem Gründungsdokument für größte Sparsamkeit für den Militarismus im Frieden, die Aufrechterhaltung der Landwehr, die allgemein einzuführende körperliche Ausbildung der Jugend und die erhöhte Aushebung der waffenfähigen Mannschaft bei zweijähriger Dienstzeit ausgesprochen. Die Freisinnige Volkspartei besaß 1907 28 Reichtagsmandate. Die Freisinnige Vereinigung war eine großbürgerlich-liberale Partei und versuchte den freihändlerisch orientierten Gruppierungen der Bourgeoisie einen maßgeblichen politischen Einfluß zu verschaffen. Das meinte sie durch Unterstützung der Aufrüstungs- und Expansionspolitik, eine liberal-sozialreformerische Innenpolitik und Zurückdrängung des Junkertums erreichen zu können. 1908 spaltete sich eine bürgerlich-demokratische Gruppe als Demokratische Vereinigung unter dem Vorsitz von Rudolf Breitscheid von der Freisinnigen Vereinigung ab. Am 6. März 1910 vereinigten sich die Freisinnige Volkspartei, die Freisinnige Vereinigung und die Süddeutsche Volkspartei zur Fortschrittlichen Volkspartei, einer liberalen Partei mit flexiblerer Strategie und Taktik imperialistischer Politik, die sich von besonders konservativ-militaristischen, reaktionären Kreisen abgrenzte und im Reichstagswahlkampf 1912 42 Mandate erzielte. Ende 1918 entstand aus dem Zusammenschluß mit dem linken Flügel der Nationalliberalen und bürgerlich-demokratischen Gruppen die Deutsche Demokratische Partei.