Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 511

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Sismondi nimmt als Ausgangspunkt dasselbe wie Malthus. Er sieht aber die Abhilfe in der Besserung der Konsumkraft der arbeitenden Masse. Aus dem Zwiespalt, in dem er sich befindet, kann er sich nicht heraushelfen. Das zeigt sich darin, daß er selbst zugibt: Wenn man die Konsumkraft und die Lage der Arbeiter verbessert, so wirkt das abstumpfend auf den Akkumulationstrieb der Kapitalisten, und dann kann sich die Produktion nicht erweitern. Er sucht in seinem echt kleinbürgerlichen Standpunkt die Mitte: Nicht so schnelle Akkumulation des Kapitals, dafür Besserung der Lage der Arbeiter.

Gegen alle diese tritt Say auf. Er schließt gleichfalls an die Werttheorie der Klassiker an. Aber er macht davon eine Anwendung, die allen Resultaten der Smith-Ricardoschen Schule ins Gesicht schlägt. Er sagt:

Der Austausch ist ein Austausch von Waren von gleichem Wert. Das Geld ist nur ein Vermittler. Wie kann man von der Möglichkeit einer Krise reden, da jede Ware nicht nur ein Angebot von Waren darstellt, sondern auch [sic!]

Nach der Say’schen Theorie[1] ist eine allgemeine Überproduktion nicht möglich, nur eine partielle. Tritt sie ein, so ist sie nur ein Beweis, daß in anderen Zweigen eine Unterproduktion stattfindet; darum muß zur Abhilfe der Krisen eine Steigerung der Produktion in den Zweigen geschaffen werden, wo die Unterproduktion stattfindet.

Die Kritik von Say beruht auf der Verkennung der Tatsachen, die den allgemeinen Austausch unmöglich und die Entwicklung des Geldes notwendig gemacht haben.

Nach Say kamen die Bodenreformer. Sie leiten die Krisen aus dem Privateigentum an Grund und Boden ab.

Wir sehen also: einerseits die Ableitung der Krisen von der ungleichmäßigen Verteilung des Einkommens.

Die demokratische Richtung sieht in der Erhöhung der Konsumfähigkeit der Masse das Mittel zur Abschaffung der Krisen.

Die andere Richtung hofft die Krisen abzuschaffen durch Erhöhung der kapitalistischen Produktion.

Dann kam Marx. Er sagte, die Krisen sind ein Resultat der ungeregelten Produktionsweise des Kapitalismus.[2]

Viel gelernt von Marx hat Professor Herkner in Zürich. Im 5. Band des Handwörterbuchs für Staatswissenschaften steht eine Abhandlung von ihm über die Krisen. Er bringt in diese Abhandlung aber andere Auffassungen mit hinein.[3]

1866 wurde in den Vereinigten Staaten Nordamerikas eine spezielle Enquete zur Untersuchung der amerikanischen Krisen aufgenommen. In dieser Enquete wurden 180 Ursachen der Krisen genannt. Es werden immer die Einzelheiten genannt, die

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[1] Der französische Ökonomen Jean-Baptiste Say hatte die Theorie vom natürlichen Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion aufgestellt. Siehe Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals. In: GW, Bd. 5, S. 173 ff. und S. 190 ff.

[2] Siehe Karl Marx: Das Kapital. Erster Band. In: MEW, Bd. 23, S. 185 f.

[3] Siehe Heinrich Herkner: Krisen. In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Hrsg. von J. Conrad u. a., Fünfter Band, gänzlich umgearbeitete Auflage, Jena 1900, S. 413 ff.