Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 509

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Wie weit würde der Mehrwert sinken: Bis auf den Betrag, den er in der nächstfolgenden Kategorie ergibt, d. h. in dem Kapital, das in einem Jahre umschlägt.

In dieser Kategorie aber hat ja ein Abfluß von Kapital in die erste, aller drei Monate umschlagende Kategorie stattgefunden. Dadurch Verringerung der Produktion, daraus folgt Steigen der Preise und daraus Steigen der Mehrwertrate. Daraus ergibt sich wieder ein Zufluß von Kapital, dem es gleich ist, ob es in den Betrieben arbeitet, die viermal im Jahre umschlagen, oder in den Betrieben, die nur einmal im Jahre umschlagen, aber ebensoviel Mehrwert erzeugen als die viermal umschlagenden.

Die Verschiedenheit der Umschlagsperioden ruft eine Bewegung der Kapitale aus einem Produktionszweig in den anderen hervor. Der Zweck dieses Ausgleichs ist die Erringung des gleichen Mehrwerts. Das geht so vor sich, daß die Produktion, die für die Gesellschaft ins Werk gesetzt wird, immerfort einer Fluktuation unterliegt. Dabei spielt aber das Bedürfnis der Gesellschaft, die Nachfrage, mit. Das ist die andere Seite, welche bestimmt, wie weit überhaupt die Überfüllung der Produktion gehen kann.

Die Sättigung der Bedürfnisse in den verschiedenen Zweigen der Gesellschaft wird reguliert durch die Bewegung der Kapitale. Somit stellt sich auf der anderen Seite jene Bewegung der Kapitale als jene Verteilung des Gesamtkapitals in den verschiedenen Produktionszweigen dar, die den Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht.

Der 2. Band des „Kapitals“ zerfällt in zwei Teile.[1] Er behandelt speziell die Bedingungen einer glatten Erledigung der Realisierung der vom Kapital erzeugten Waren.

Es kommt darauf hinaus, daß der Inhalt dieses Bandes hauptsächlich das Material zur Lösung der Krisenfrage gibt, obwohl Marx den Namen „Krise“ darin selten erwähnt.[2]

Als Einleitung zum 2. Band ein paar Worte über die Geschichte der Krisen und einen Überblick über die Krisen im 19. Jh.

Zu der Theorie der Krisen gab den Anstoß die Krise von 1815 in England.

Diese Krise ist keine charakteristische Krise der modernen Gesellschaft, insofern, als sie nicht zu den Krisen gehört, die aus den wirtschaftlichen Verhältnissen erwachsen. Die modernen Krisen werden daher gewöhnlich erst vom Jahre 1825 an datiert.

Die Krise von 1815 war die Folge der Kontinentalsperre, ergab sich also aus politischen Gründen. Die Kontinentalsperre[3] wurde 1806 von Napoleon über England verhängt. Sie dauerte bis 1812/13. Sie sollte England vernichten. An keiner Küste Europas durften englische Waren eingeführt werden. Die englischen Untertanen, die in den Staaten lebten, die die Kontinentalsperre mit durchführen mußten, wurden zu Kriegsgefangenen erklärt und ihr Vermögen wurde konfisziert.

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[1] Der zweite Band des „Kapitals“ ist in drei Abschnitte gegliedert: Die Metamorphosen des Kapitals. Der Umschlag des Kapitals. Die Reproduktion und Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals.

[2] Siehe Karl Marx: Das Kapital. Zweiter Band. In: MEW, Bd. 24, S. 185 f., 408 ff., 463 ff., 515 f.

[3] Mit der Kontinentalsperre hatte Napoleon am 21. November 1806 den europäischen Staaten jeglichen wirtschaftlichen Kontakt zu Großbritannien untersagt. Sie sollte Europa unter die Kontrolle der französischen Bourgeoisie bringen, scheiterte jedoch an der Überlegenheit Großbritanniens und am Widerstand der europäischen Staaten, besonders Rußlands, im Jahre 1812.