Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 475

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Bis zu dieser Grenze war die Produktionsweise eine geregelte. Aber die Regelung beschränkte sich nur auf das Handwerk, auf einen Zweig der Produktion. Die Herstellung von Rohprodukten und die Landwirtschaft geschieht außerhalb der Stadt, sie waren durch das Zunftwesen nicht geregelt.

Diese Trennung von Landwirtschaft und Handwerk ist eine wichtige historische Tatsache, in der der Kapitalismus wurzelt. Die Stadt des Mittelalters ist nur noch ein Splitter der gesamten Wirtschaftsgemeinschaft. Sie ist allein keine Wirtschaft im eigentlichen Sinne mehr. Deshalb stellt sie auch keine planmäßig geregelte Produktionsweise dar. Sie umfaßt nur einen planmäßig geregelten Produktionszweig. Eine eigentliche Stadtwirtschaft hat es nie gegeben. (Professor Bücher nimmt aber an, daß es eine Stadtwirtschaft gab. Siehe das Buch über die Entstehung der Volkswirtschaft.)[1]

Für die fernere Entwicklung ist die Zunft von großer Bedeutung. Die moderne Maschine wäre nicht möglich, hätte nicht die Zunft das Handwerkszeug auf die denkbar höchste Stufe gebracht. Die Entwicklung wurde erreicht durch die Teilung der Arbeit in der Zunft. Wichtige Erfindungen des handwerksmäßigen Produktionszeitalters sind: Kompaß, Taschen- und Turmuhr, Schießpulver, Papierbereitung, Buchdruckerkunst usw.

Die Zunft hat ermöglicht, viele Handwerker in einem Arbeitszweig, in einem Raume zu vereinigen und damit die Vorbedingung der Manufaktur geschaffen. Die Zahl der Gesellen wurde mit der Zeit größer als nötig. Sie „pfuschten“ und siedelten sich auf dem Lande an, weil dieses frei von Zunftfesseln war.

Auch die zweite Vorbedingung der Manufaktur, das Handwerkskapital, entsteht in den Städten durch den Handel. Hier wurden die Kräfte organisiert, die einen Massenabsatz möglich machten.

Das flache Land konnte nicht Absatzgebiet der Produkte sein. Dort herrschte die Feudalwirtschaft, die sich bis ins 19. Jh. behauptete. Die Entwicklung des Kapitals in den Städten hat den Sieg der Bourgeoisie vorbereitet, der in den Revolutionen des 18. und 19. Jh. erfolgte.

Die Konsumenten in den Städten wurden vermehrt durch den zahlreichen Zustrom der landflüchtigen Bauern.

Der Kapitalismus beruht auf der Maschine, auf der Lohnarbeit. Diese ist nur denkbar durch die persönliche Freiheit des Arbeiters. Diese Freiheit wurde erobert in den Kämpfen der Zünfte gegen das Hofrecht. Die Warenwirtschaft, die Hauptgrundlage der kapitalistischen Produktionsweise, entsteht in der Stadt.

So sind sämtliche Vorbedingungen des Kapitalismus in den Städten vorbereitet worden oder entstanden.

Die Entwicklung mußte schließlich die Form der Zunft sprengen und der kapitalistischen Industrie Raum schaffen.

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[1] Siehe Karl Bücher: Die Entstehung der Volkswirtschaft. Versuche und Vorträge. 4. Aufl., Tübingen 1906, S. 91 f.