Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 462

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Der Loskauf der Handwerker war der erste Schritt, der zugleich die ökonomische Basis für die weitere Entwicklung bildete. Die Handwerker beginnen Schritt für Schritt, sich vom Hof zu befreien. Dieser Kampf zur Befreiung füllte das ganze 12. und 13. Jh. aus.

Das Recht der persönlichen Freiheit und der freien Verehelichung wurde in Worms 1114 und 1180 eingeführt. (Die Einführung eines solchen Rechtes mußte manchmal vier Mal geschehen, weil die Herrschaft das Gewährte immer wieder illusorisch machte.)[1]

Die persönliche Freiheit wurde in Freiburg 1120 errungen, in Bern 1218, in Wien 1238, in Eisenach 1283, in Wesel 1277, in Brakel 1322 (das war ein kleines Städtchen, deshalb errangen es die Handwerker dort erst später.) In Wien das Recht der freien Verehelichung 1221, in Winterthur 1264, in Bregenz 1409. Wo das Recht der freien Verehelichung nicht ganz zugestanden wurde, blieb noch ein Verbot der ungleichen Ehen bestehen.

Aufhebung des Heiratszwangs (der Fronherr konnte einen Hörigen zum Heiraten zwingen) in München 1294, in Hagenau 1257, in Wien 1221, in Freiburg i. Br. 1120, in Nürnberg 1257.

Abschaffung des Besthaupts, der Kurmede (das sind die Erbrechte der Herren) in Speyer 1117 und 1182, in Worms 1180, in Augsburg 1276, in Ulm 1290, in Frankfurt 1291, in Münster 1309.

Die persönliche Freizügigkeit wurde erfochten in Freiburg 1120, in Colmar 1293, in Winterthur 1297, in Basel 1542 (jahrhundertelang fanden hier Kämpfe mit dem Bischof statt), in Bregenz 1409. Diese Zahlen gelten nur für die Handwerker. Die Dienstmannen brauchten sich diese Rechte nicht zu erkämpfen, denn sie waren ja nicht persönlich hofhörig.

Nicht sämtliche Rechte wurden zugleich errungen. Und zumal kommen bei den Kämpfen in Betracht die süddeutschen Städte. Das kommt daher, weil Süddeutschland noch der alte Kulturboden der römischen Zeit ist, Anknüpfungspunkte der Städte und meiste Verbreitung des Christentums.

Jede Stadt mußte diese Kämpfe für sich allein durchkämpfen. Gleichzeitig aber sieht man einen Strom der Bewegung, der von einer Stadt in die andere fließt. Dabei aber sehr große Abstände. Die Bewegung beginnt im 12. und 13. Jh. Das Ergebnis ist überall die Befreiung von der Hofhörigkeit und von dem Hofrecht.

Jedes Handwerk, jede Zunft ging für sich vor.

Ebenso wie die Kapitalisten heute die Arbeiter in einer Fabrik zusammenschweißen und uns dadurch die Möglichkeit geben zu agitieren, so gab der Fronhof den Handwerkern durch die schon bestehenden Innungen die Möglichkeit zum Kampf.

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[1] Siehe Georg Ludwig von Maurer: Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. Erster Band, 10. Kapitel: Die ersten städtischen Einrichtungen und Freiheiten, S. 279 ff.