Die römische Stadt war grundverschieden von der mittelalterlichen. Sie war ein außerordentlich straff organisierter Körper, der durch staatliche Beamte von Rom aus geleitet wurde, mit einer gewissen Teilnahme der herrschenden Klassen der Stadt und ohne jede Teilnahme der Masse.
In dieser Beziehung stellt die mittelalterliche Stadt etwas Grundverschiedenes von der römischen Stadt dar.
Von dem römischen Munizipalrecht ist in der mittelalterlichen Stadt gar nichts geblieben und nichts verwertet worden. Das ist die Rechtsseite, die Organisation der Stadt.
Aber vielleicht noch wichtiger ist: Zum Wesen der Stadt, sowohl in Rom wie im Mittelalter, gehörte im Unterschied von den Dörfern vor allem ein äußeres Merkmal, die Ummauerung. Das war das erste Wahrzeichen der Stadt.
Es ist Tatsache, daß, als die Germanen das Römische Reich erobert hatten, sie alle eroberten Städte zerstörten und namentlich die Mauern abtrugen. Es vergingen in Rom nach der Eroberung durch die Germanen mehrere Jahrhunderte, in denen gar keine Ummauerung der Stadt bestand und Rückbildung in landwirtschaftliche Verhältnisse stattfand.
Die Germanen siedelten sich eben, als sie das Römische Reich erobert hatten, wieder in der alten Markgenossenschaft an. Ein Zeichen, daß ein Volk durchaus nicht das äußere Produkt, das es erobert, so läßt, sondern das geschieht nur, wenn es zu seinen Verhältnissen paßt. Den Germanen aber war die Stadt ein fremdes Produkt. Sie konnten es nicht verwerten.
Ein römischer Schriftsteller schrieb: „Die Germanen sind Menschen, die eine schrankenlose Freiheit lieben. Sie können die Mauern nicht vertragen und trugen sie deshalb ab.“[1] Das war aber nicht der Grund für die Abtragung der Mauern. Für sie war maßgebend, daß die Germanen die Mauer, die ganze Stadt nicht brauchten.
Erst zu Karls d. Gr. Zeiten, etwa seit dem 8. Jh., wird wieder mit einer Ummauerung begonnen. Damit ist noch nicht die fertige Stadt da. Aber es war sozusagen die Bildung der Zelle, aus der die Stadt entstand.
Die Ummauerung aller solchen Höfe wurde notwendig namentlich gegen die Normannenzüge im 9. Jh.
Die meisten ehemaligen römischen Städte wurden nachher zu mittelalterlichen französischen und deutschen Städten. Aber weshalb?
Bei der Bildung der späteren Städte waren nicht nur die königlichen Burgen, sondern auch Bischofssitze zu Mittelpunkten der städtischen Entwicklung geworden. Die Bischofssitze durften nach kanonischem Recht nur mit Ummauerung angelegt werden. Die Kirchen und die Kostbarkeiten der Kirchen waren zu schützen, das war
[1] Siehe dazu Friedrich Engels: Zur Urgeschichte der Deutschen. In: MEW, Bd. 19, S. 425 ff. und Georg Ludwig von Maurer: Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. Erster Band, Erlangen 1869, S. 1 ff.