Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 424

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Einerseits verliert der Bauer den eigenen Boden und andererseits wird er für die Großgrundbesitzer als Arbeitskraft zu unbequem.

Außerdem verringert sich die Zahl der freien Bauern durch die Kriege bedeutend, so daß sie für die Großgrundbesitzer gar nicht mehr ausgereicht hätten.

Die Großgrundbesitzer müssen also mehr Sklaven einstellen. Die liefern die Kriege in Massen.

Die unaufhörliche Kriegführung endete durchweg mit der Unterjochung neuer großer Provinzen. Die besiegten Völkerschaften wurden in römische Untertanen verwandelt und mußten Abgaben leisten, Steuern, zum Teil in Geld, zum Teil in Naturalien. Die letzteren bestanden vor allem in Getreide. Man beginnt, das überseeische Getreide einzuführen. Kornkammern Roms sind: Afrika, Sizilien und Spanien.

Der römische Staat verwendet das Getreide vor allem für die Erhaltung des Heeres; das römische Heer wird ausschließlich mit ausländischem Getreide ernährt. Die Ausplünderung der fremden Provinzen brachte immer mehr Getreide in das Land, als das Heer brauchte. Dieses Getreide verkaufte der Staat zu Spottpreisen. Das inländische Getreide wurde bald überflüssig, der römische Bauer fand keinen Absatz mehr für sein Getreide. Er wurde zum Proletarier. (Proles: Einer, der viel Kinder zeugt.)

Was machen die Bauern? Die eigene Wirtschaft haben sie verloren, die Großgrundbesitzer beschäftigen Sklaven. Die Großgrundbesitzer lassen alles, was sie brauchen, entweder von den Sklaven herstellen oder beziehen es aus den Provinzen.

Die völlig existenzlosen Bauern strömten nach Rom, und zwar war Rom damals die Stadt, das Zentrum, das zugleich politisches Zentrum war. Sie strömten dahin, um vom Staate Existenzmittel zu verlangen. Diese Bauern sind zugleich freie Bürger. (Rom ist Republik, es hatte die gleiche Revolution durchgemacht wie Griechenland.) Der Adel bediente sich dieses Proletariats in seinen eigenen inneren Kämpfen. Es hatte politische Rechte und Einfluß auf den Staat. Dieses Proletariat mußte erhalten werden, denn sonst wäre es eine ständige Gefahr für Rom gewesen. Es übernachtete buchstäblich auf den Straßen Roms.

Es wird auf dem römischen Markt von Staats wegen an Proletarier Getreide verteilt, gleichfalls überseeisches Getreide.

Diese Einfuhr des Getreides aus den Provinzen hatte also große Bedeutung.

Auf Grund dieser Verhältnisse hat Sismondi in seiner Untersuchung der römischen Verhältnisse den klassischen Ausspruch getan:

Es gab in Rom ein Proletariat wie heutzutage. Aber während das heutige Proletariat die Gesellschaft erhält, hat sich das römische Proletariat von der Gesellschaft erhalten lassen. Das ist der Unterschied zwischen dem Proletariat von heute und von damals.[1]

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[1] Der Gedanke stammt aus J.-C.-L. Simonde de Sismondis Schrift Ètudes sur l’économie politique, Tom I, Paris 1837, S. 35, und wurde von Karl Marx sinngemäß zitiert im Vorwort zur zweiten Ausgabe (1869) von Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: MEW, Bd. 16, S. 359.