Angaben über die Größe der Sklaverei
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Die Frage nach der Größe der Sklaverei in Griechenland und überhaupt in der Alten Welt ist ein Streitpunkt unter den Gelehrten, den Ökonomen und Historikern.
Rodbertus hat sich verdient gemacht durch die Schilderung der alten griechischen Oikenwirtschaft (Oikos ist das Haus, die Familie, zusammen mit Knechten, Mägden und Sklaven). Er hat durch diese Schilderung den Eindruck hervorgerufen, daß das gesamte ökonomische Leben in der Alten Welt auf der Sklavenarbeit beruhte. Diese Auffassung akzeptierte Professor Bücher, nach dem die erste Phase der ökonomischen Entwicklung die geschlossene Hauswirtschaft ist, auf der Sklavenarbeit basierend.[1] Nach Bücher hat diese Hauswirtschaft bis zum Mittelalter geherrscht.
Gegen diese Auffassung hat sich in der letzten Zeit sehr scharf Professor Eduard Meyer erhoben. Zwei Schriften von ihm sind empfehlenswert:
1. Die wirtschaftliche Entwicklung des Altertums. Ein Vortrag, [Jena] 1895.
2. Die Sklaverei im Altertum, [Dresden] 1898
Die erstere Schrift hat Kautsky im „Ursprung des Christentums“[2] mehrfach zitiert.
Dann ist im Handwörterbuch der Staatswissenschaften in mehreren Artikeln von Professor Eduard Meyer (unter „Bevölkerung im Altertum“) seine Ansicht niedergelegt.[3]
Bei Professor Eduard Meyer ist leider das entgegengesetzte Extrem eingetreten. Er weist hauptsächlich nach, daß die Sklaverei ziemlich geringe Bedeutung im Altertum hatte, und stützt seine Einschätzung darauf, daß die Anzahl der Sklaven der Anzahl der Freien entweder gleich oder noch geringer als diese war (ausgenommen geringe Epochen).
Diese seine Begründung ist nicht stichhaltig. In der heutigen Gesellschaft herrscht kapitalistische Produktion. In ihr stehen die Industriearbeiter. Die Landarbeiter, die kleinen Handwerker, die Schicht der gebildeten Berufe usw. gehören nicht zu ihnen. Aber sie, die Industriearbeiter, prägen ihre Existenzbedingungen auch immer mehr den anderen Schichten auf. Nach ihnen ist die heutige Gesellschaft gestaltet, und doch sind sie die Minderheit der Bevölkerung.
So können auch die Sklaven die Minderheit der Bevölkerung gewesen sein, und doch kann das gesamte ökonomische Leben der Alten Welt auf ihnen geruht haben. Nicht die Zahlen sind maßgebend, sondern die Gesamtsumme der Tendenzen, die sich daraus ergeben, ist maßgebend.
[1] Siehe Karl Rodbertus: Zur Frage des Sachwerths des Geldes im Alterthum, Jena 1870; Karl Bücher: Die Aufstände der unfreien Arbeiter, Frankfurt am Main 1874; siehe auch Rosa Luxemburg: Einführung in die Nationalökonomie. In: GW, Bd. 5, S. 530 ff., S. 542 ff., S. 614 ff. und S. 645 ff.
[2] Siehe Karl Kautsky: Der Ursprung des Christentums. Eine historische Untersuchung, Stuttgart 1908.
[3] Siehe Eduard Meyer: Die Bevölkerung im Altertum. In: Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Hrsg. von J. Conrad u. a., Zweiter Band. Dritte Auflage, Jena 1909, S. 898 ff.