Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 351

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verschiedenen Ständen bildete sich allmählich eine homogene Masse. Sie kamen alle auf das Niveau der allgemeinen Unfreiheit herab.

Die Bewirtschaftung vom Hof aus hatten die Germanen dem Vorbilde der Römer nachgeahmt. Vorsteher eines solchen Guts war ein Vogt, der oft auch namens des Besitzers die Gerichtsbarkeit ausübte. Mit der Zeit bilden sich neben dem Vogt sogenannte Ministerien, wovon jedes einzelne ein bestimmtes Verwaltungsgebiet erhielt. Diese Bezeichnung wurde von da übernommen für die heutigen Minister.

Der rationelle Großbetrieb wird auf dieser Stufe nur durch das feudale Hofrecht ermöglicht, genau wie der Großgrundbesitz im alten Rom nur durch die ökonomische Abhängigkeit der Sklaven durchgeführt werden konnte. Das Aufkommen des Großgrundbesitzes bei den Germanen zeigt uns, daß eine einmal erreichte Höhe der Produktion trotz zeitweiliger Rückschläge, zu gegebener Zeit wieder aufkommt.

Im 10. Jh. kam der Handel auf, und zwar hatte dieser von vornherein internationalen Charakter. Er kam auf durch die Steigerung der Produktivität und der dadurch hervorgerufenen Steigerung Differenzierung der Lebenshaltung. Gleichzeitig entstehen als Mittelpunkte des Handels die Städte. Nun begann ein luxuriöses Leben und die Geldwirtschaft verdrängte immer mehr die Geldwirtschaft Naturalwirtschaft. Es entsteht die Möglichkeit, landwirtschaftliche Produkte zu kaufen und zu verkaufen. Damit ändert sich die ganze Lage des Bauernstandes. Jetzt war der Höhe der Produktion keine Grenze mehr gesetzt, man produzierte für den Export, die soziale Klassenscheidung verschärfte sich dadurch kolossal. Die hörigen Bauern mußten zu den Hoftagen an die Herrschaften alles abliefern, was der Mensch irgendwie zum Leben braucht. Diese Abgaben wurden dann in Geldabgaben verwandelt; für alle erdenklichen Sachen wurden Zinsabgaben erhoben. So das

Erbrecht
Besthaupt (das Recht der Herrschaft, das beste Pferd, Kuh, Schwein usw. auszuwählen)
Gewandrecht (das Recht das beste Kleidungsstück auszulesen)
Kurmede (das beste Stück auszuwählen, das sie mähen wollte)

Verpflegungs-

und Beherber-

gungsrecht

(wenn der Herr auf Reisen war, mußte er verpflegt werden)
Froschstillen (Abtei von Prim bei Trier)

Ehegeld oder

Schürzengeld

(Abgaben zur Heiratserlaubnis)
Das Recht der ersten Nacht (Bebel, Frau u. der Soz., Seite 67 usw.)[1]
Schutzgeld

(für von Armen, die sich bei einem Bauern einmieteten.

Auch öffentliche Häuser unterlagen dem Hofrecht und mußten

Abgaben zahlen.)

Jagdrecht

(Verbot der Jagd für die Bauern, Wehrlosigkeit gegen

Wildschaden. Treiberdienste bei Jagd und Fischerei.)

Tag u. Wochendienste (Bestimmungen, wann bestimmte Arbeiten für die Herrschaft gemacht werden mußten.)
Scharwerke
Spanndienste
Schiffsdienste (auf Flüssen)
Baufronen
Beerenlesen, Kirschlesen
u. Schneckenhäusle lesen
Im August 1524, also zwei Jahre vor dem Ausbruch des Bauernkriegs, brach in Schwaben in den beiden Dörfern Lupfen u. Fürstenberg ein Aufstand aus, weil die Bauern wo an einem Feiertag Schneckenhäusle lesen mußten.
Gerichtsgefälle

Im Jahre 1484 hat ein Bauer aus einem Bach einige Krebse

gefangen. Der Besitzer verlangte, daß die Stadt Frankfurt den Bauer

dafür töten sollte. Diese lehnte es ab, der Herr holte sich dann aus

einem andern Ort einen Scharfrichter und der Bauer wurde geköpft.

[1] Siehe August Bebel: Die Frau und der Sozialismus. Fünfzigste Aufl., verbessert, vermehrt und neu bearbeitet. Jubiläumsausgabe, Stuttgart 1910, S. 66 f. – August Bebel: Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. 10/2. Hrsg. vom IISG Amsterdam. Mit einem Geleitwort von Susanne Miller. Bearbeitet von Anneliese Beske und Eckhard Müller, München/New Providence/London, Paris 1996, S. 292 ff.

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