Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 317

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-7-1/seite/317

Aus diesen wirtschaftlichen Unterschieden entsprangen die sogenannten Sezessionskriege,[1] die fünf Jahre dauerten u. mit dem Siege der Nordstaaten endeten, enden mußten. Die Nordstaaten kämpften für die Aufhebung der Sklavenwirtschaft u. für die Einführung der freien Lohnarbeit. Dies bedeutete einen ökonomischen Fortschritt, u. deshalb mußten früher oder später die Nordstaaten siegen.

Durch den Krieg war die Produktion von Baumwolle in Amerika stillgestanden. Die Folge davon war eine Krisis in England, für die wir den Namen Baumwollhunger haben. 1863 zählte man in Lancashire, dem Zentrum der Baumwollindustrie, 250000 arbeitslose, 166000 teilweise beschäftigte u. nur 120000 vollbeschäftigte Arbeiter. Bei diesen kamen aber noch Lohnkürzungen von 10 bis 20 Prozent, und 80000 Arbeiter reichten damals eine Petition an das engl. Parlament ein, in der sie um Unterstützung zu ihrer Auswanderung nach Australien baten. Diese Petition wurde abgelehnt. Dabei fiel der bezeichnende Ausspruch: Wir können doch nicht unsere lebenden Masch[inen] aus dem Lande lassen, so gut, wie wir nach Beendigung der Kriege Krisis unsere toten Masch. brauchen, ebenso notwendig brauchen wir auch unsere lebenden.[2]

Durch die erhebliche Dauer des Krieges sah sich England gezwungen, für den Bedarf an Baumwolle nach neuen Bezugsquellen umzusehen. England ging dazu über, in seiner Kolonie Indien Baumwolle zu pflanzen. Dadurch wurden die Reisfelder verdrängt. Reis bildet aber beinahe das einzige Nahrungsmittel der dortigen Bevölkerung. Die Folge dieser Verdrängung der Reisfelder war eine Hungersnot, die in dem Bezirk Orissa, Bengalen eine Mill. Menschen hinwegraffte. Die Folge davon war wieder das Erwachen des Orients. 1855 brach der Krimkrieg[3] aus, der wieder eine Krisis in der Leinenindustrie, die in ihrem Bezug der Rohware aus Rußland auf [sic!] angewiesen war. Dieser Krieg hatte zur Folge, daß in Rußland die Leibeigenschaft u. die Abschaffung Beseitigung jeder Zollschranken durchgesetzt wurde. Außerdem wurde dadurch die Ausfuhr von Leinen nach Westeuropa eingeschränkt. Es entstand eine Leinenkrisis. Diese Sachlage machte sich England zunutze, indem es die ersten Erzeugnisse der Baumwollindustrie als die ersten industriellen Produkte nach Rußland einführte. Rußland entwickelte sich, indem es dazu überging, diese Produkte selbst herzustellen, zum Industriestaat. Dadurch entstand wieder 1882 die erste gewerkschaftliche Bewegung der Textilarbeiter, die Folge davon war die erste Arbeiterschutzgesetzgebung, die Festsetzung des Elfstunden-Nominalarbeitstags usw.[4]

Aus diesem Beispiel ergibt sich, wie daß die wirtschaftlichen Erscheinungen eines Volkes verursacht werden, durch solch einen weit entfernt liegenden [Vorgang], u.

Nächste Seite »



[1] Der amerikanische Sezessionskrieg fand von 1861 bis 1865 statt. Er wurde mit der Trennung der elf sklavenhaltenden Südstaaten von der Union (Sezession) eingeleitet. Sie Sklaverei hemmte die Entwicklung des Kapitalismus im ganzen Lande. Der Bürgerkrieg, dem Charakter nach eine bürgerlich-demokratische Revolution, endete 1865 mit der Kapitulation der Südstaaten und der Wiederherstellung des Bundes unter der Führung der Bourgeoisie der Nordstaaten.

[2] Vgl. Marx: Das Kapital. Erster Band. In: MEW, Bd. 23, S. 600.

[3] Im Krimkrieg 1853 bis 1856 gegen die Koalition zwischen England, Frankreich, der Türkei und Sardinien um die Vorherrschaft im Nahen Osten erlitt das zaristische Rußland eine empfindliche Niederlage. Es mußte das Gebiet der Donaumündung abtreten und durfte auf dem Schwarzen Meer keine Kriegsflotte unterhalten.

[4] In Rußland entstanden nach den großen Fabrikunruhen des Jahres 1882 die ersten Arbeiterschutzgesetze. Am 1. Juni 1882 wurde das Schutzgesetz für Minderjährige erlassen, das die Arbeit von Kindern unter zwölf Jahren in Fabriken und Manufakturen verbot und die Arbeitszeit der zwölf- bis fünfzehnjährigen auf acht Stunden begrenzte. Am 3. Juni 1885 folgte ein weiteres Gesetz, das die Nachtarbeit für Frauen und Halbwüchsige unter 17 Jahren in Baumwoll-, Leinwand- und Wollfabriken verbot.