Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 316

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sich mit England vollzieht. Beides Industriestaaten. Des weiteren ergibt sich aus den angeführten Zahlen, daß Deutschl. nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Industrieprodukte einführt u. umgekehrt.

Der Fehler in der Auffassung des Prof. Bücher liegt darin, daß er die Begriffe Agrarstaat u. Industriestaat als feste, als starre auffaßt, mit einem Wort, daß er unhistorisch die Dinge betrachtet. Er nb sieht keinen Entwicklungsprozeß. Agrarstaat ist aber durchaus kein historischer konstanter Begriff. Die Staaten haben alle die Tendenz, sich zum Industriestaat zu entwickeln.

Bücher stellt den Austausch der Güter von heute auf eine Stufe mit derjenigen primitiver Völker. Auch hier zeigt sich die unhistorische Auffassung des H[errn] Bücher, um zu zeigen, daß der heutige Austausch von Gütern doch grundverschieden ist von dem früherer Völker, u. gleichzeitig zu zeigen, daß die Entwicklung tatsächlich zur Weltwirtschaft, im Gegensatz zu Prof. Bücher, geht, wollen wir ein charakteristisches Beispiel anführen. Greifen wir einen Industriezweig heraus u. nehmen wir den Pionier des Kapitalismus, die Baumwollindustrie.

1768 wurde von Arkwrigth die Spinnmasch[ine] erfunden und 1785 von Cartwright der mechanische Webstuhl. Diese beiden Erfindungen hatten zur Folge, daß an Stelle der um diese Zeit in Gladstone Lancashire beschäftigten Mill. Handweber 1860 nur noch einige 1000, dafür aber eine halbe Mill. Fabrikarbeiter in der Textilindustrie vorhanden waren. Aus dieser Entwicklung zog die englische Bourgeoisie den größten Nutzen, während um diese Zeit die Arbeiter nicht so viel hatten, um ihren Hunger zu stillen. Wir besitzen darüber ein offizielles Zeugnis. Der englische Minister Gladstone führte in einer Parlamentssitzung aus: daß sich über England eine berauschende Vermehrung des Reichtums ergossen hätte, davon hätte aber nur die Bourgeoisie profitiert, während die Arbeiter leer ausgegangen seien.[1] Die Entwicklung der Baumwollindustrie in England verursachte die Entstehung der Baumwollplantagen in Amerika. Amerika hatte aber um die damalige Zeit an sich schon Mangel an Arbeitskräften, außerdem waren die wenigen, die vorhanden waren, nicht imstande, die körperlich sehr anstrengende Arbeit in den Baumwollplantagen auszuführen. Man mußte sich deshalb nach anderen, geeigneteren Arbeitskräften umsehen u. fand solche in den Negern Afrikas. 1790 zählte man in Amerika 697000 Neger, 1850 waren es vier Mill., die als Sklaven in den Baumwollplantagen beschäftigt waren. Die Baumwollplantagen waren in den Südstaaten Nordamerikas, die, wie schon erwähnt, mit Sklaven wirtschafteten. Die Nordstaaten aber, die hauptsächlich die Gewinnung von Kohlen u. Eisen betrieben, waren natürlich auf der freien Lohnarbeit aufgebaut.

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[1] Gemeint ist die Budgetrede des britischen Schatzkanzlers William Gladstone am 16. April 1863. Siehe Karl Marx: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation. In: MEW, Bd. 16, S. 7; ders.: Das Kapital, Erster Band. In: MEW, Bd. 23, 680 f. und Friedrich Engels: Vorwort zur vierten Auflage. In: ebenda, S. 42 ff.