Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 124

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werde mithin abgeholfen, sobald sie größern Anteil davon empfängt, ihr Arbeitslohn folglich wächst, so ist nur zu bemerken, daß die Krisen jedes Mal gerade vorbereitet werden durch eine Periode, worin der Arbeitslohn folg allgemein steigt u. die Arbeiterklasse realiter größeren Anteil an dem für jede Konsumtion bestimmten Teil des jährlichen Produkts erhält. Jene Periode müßte – von dem Gesichtspunkt dieser Ritter vom gesunden u. ‚einfachen‘ Menschenverstand – umgekehrt die Krise entfernen. Es scheint also, daß die kapitalistische Produktion vom guten oder bösen Willen unabhängige Bedingungen einschließt, die jene relative Prosperität der Arbeiterklasse nur momentan zulassen u. zwar immer nur als Sturmvogel einer Krise.“[1]

In der Tat führten die Marxschen Theorie Darlegungen im II. wie im III. Band seines Werkes zu dem tieferen gründlicheren Einblick in das Wesen der Krisen, die sich einfach als unvermeidliche Folgen der Bewegung der Kapitale ergeben, einer Bewegung, die, im angeborenen ungestümen, unstillbaren Drang nach Ansammlung, nach Wachstum, über jede Schranke der Konsumtion alsbald hinauszustreben pflegt, mag diese Konsumtion durch erhöhte Kaufmittel einer einzelnen Schicht der Gesellschaft oder durch Eroberung ganzer neuer Absatzgebiete zeitweise noch so erweitert werden. So muß auch der im Hintergrund jener populären gewerkschaftlichen Argumentation lauernde Gedanke von der Interessenharmonie zwischen Kapital u. Arbeit, die nur durch die Kurzsichtigkeit der Unternehmer verkannt werde, verabschiedet u. alle Hoffnungen auf rettend mildernde Flickarbeit an der wirtschaftlichen Anarchie des Kapitalismus aufgegeben werden. Der Kampf um die wirtschaftliche materielle Hebung der Lohnproletarier hat tausend allzu gute Gründe Waffen in seinem geistigen Rüstzeug, als daß er eines wissens theoretisch unhaltbaren u. praktisch zweideutigen Arguments bedürfte.

Ein anderes Beispiel. Im III. Band gibt Marx zum ersten Mal eine wissenschaftliche Erklärung für das von der Nationalökonomie seit ihrem Entstehen ratlos angestaunte Phänomen, daß all die Kapitale in allen Produktionszweigen, des trotzdem

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[1] Bei Karl Marx heißt es: „Es ist eine reine Tautologie zu sagen, daß die Krisen aus Mangel an zahlungsfähiger Konsumtion oder an zahlungsfähigen Konsumenten hervorgehn. Andre Konsumarten als zahlende kennt das kapitalistische System nicht, ausgenommen die sub forma pauperis [Konsumart der Armen] oder die des ‚Spitzbuben‘. Daß Waren unverkäuflich sind, heißt nichts, als daß sich keine zahlungsfähigen Käufer für sie fanden, also Konsumenten (sei es nun, daß die Waren in letzter Instanz zum Behuf produktiver oder individueller Konsumtion gekauft werden). Will man aber dieser Tautologie einen Schein tiefrer Begründung dadurch geben, daß man sagt, die Arbeiterklasse erhalte einen zu geringen Teil ihres eignen Produkts, und dem Übelstand werde mithin abgeholfen, sobald sie größern Anteil davon empfängt, ihr Arbeitslohn folglich wächst, so ist nur zu bemerken, daß die Krisen jedesmal gerade vorbereitet werden durch eine Periode, worin der Arbeitslohn allgemein steigt und die Arbeiterklasse realiter größern Anteil an dem für Konsumtion bestimmten Teil des jährlichen Produkts erhält. Jene Periode müßte – von dem Gesichtspunkt dieser Ritter vom gesunden und ‚einfachen‘ (!) Menschenverstand – umgekehrt die Krise entfernen. Es scheint also, daß die kapitalistische Produktion vom guten oder bösen Willen unabhängige Bedingungen einschließt, die jene relative Prosperität der Arbeiterklasse nur momentan zulassen, und zwar immer nur als Sturmvogel einer Krise.“ Marx: Das Kapital. Zweiter Band. In: MEW, Bd. 24, S. 409 f.