Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 83

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Knechtsseelen. Und oft genug versuchen diese Helden die sozialdemokratischen Verbreiter mit Drohungen und Mißhandlungen auch von den öffentlichen, zur Grube oder Hütte führenden Wegen zu verjagen, was einigen der frechen Gesellen, die an die Unrechten gekommen, schon sehr fühlbare Zurechtweisungen eingetragen hat, während oft die Genossen der brutalen Übermacht weichen müssen.

Trotz all der hier im einzelnen gar nicht aufzuführenden Schwierigkeiten der Agitation erfüllt die kleine Schar oberschlesischer Genossen tapfer ihre Pflicht und so sind schon jetzt über 300000 Flugblätter im Industriebezirk verteilt und weitere 300000 werden in diesen und den benachbarten, zum Agitationsbezirk Kattowitz gehörenden oberschlesischen Wahlkreisen folgen, nebst obligaten hunderttausenden Stimmzetteln. Zur Eroberung auch nur eines Mandates wird diese Arbeit freilich so bald nicht führen, dazu sitzen die meist polnischen Proletarier dieses Bezirkes noch viel zu fest einmal in den Fängen der Geistlichkeit und dann in den Netzen des polnischen Nationalismus.

Um die polnischen Arbeiter ganz fest an sich zu fesseln, haben die Nationalpolen in nicht weniger wie vier oberschlesischen Wahlkreisen Geistliche als Reichstagskandidaten aufgestellt und machen nun nicht nur in der Vertretung nationaler Interessen, sondern auch in der Betätigung kirchlicher Gesinnung dem besten Zentrumsmanne gefährliche Konkurrenz. Der Erfolg dieser Taktik, die man wohl auf den Führer der „gemäßigteren Polen“, Napieralski, zurückführen darf, wird nicht ausbleiben. Es ist gar nicht daran zu zweifeln, daß die Polen nicht nur ihre beiden bisherigen oberschlesischen Mandate, Kattowitz-Zabrze [Katowice-Zabrze] und Beuthen-Tarnowitz [Bytom-Tarnowskie Góry], behaupten, sondern noch zwei bis drei weitere, bisher dem Zentrum gehörende oberschlesische Kreise dazu erobern, in anderen Kreisen eine sehr große Stimmenvermehrung erlangen werden.

Ungeachtet der äußerst vorteilhaften Situation der Polen gegen die Sozialdemokratie, verfolgen sie diese doch mit fanatischem Haß und lassen in Presse und Versammlungen kein Mittel niedrigster Lüge und Verleumdung unversucht. Eine besondere Rolle spielen in den Zeitungen und Flugblättern der Korfanty und Napieralski neben der Religionsfeindschaft der Sozialdemokratie die angeblichen Schandtaten dieser in der russischen Revolution: Beschimpfung des weißen (polnischen) Adlers, Schändung und Ausplünderung von Kirchen, Brandstiftung, Raub und Mord an Unschuldigen, besonders an national gesinnten russisch-polnischen Arbeitern und ähnliches mehr.

So dumm und erbärmlich eine solche Kampfesweise ist, vorläufig finden diese „Volksfreunde“ doch noch ihre Rechnung dabei.[1] Wie lange noch? Das wird wesentlich abhängen von der Intensität und der Geschicklichkeit, mit der die sozialdemokratische Aufklärungsarbeit in der polnischen Bevölkerung einsetzt. Es gilt das nicht

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[1] Siehe Zur Wahl in Kattowitz-Zabrze und Die Revolution in Rußland. In: GW, Bd. 6, S. 564 ff. und S. 647 f.