Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.1, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 311

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Aufzeichnungen und häusliche Nachträge des Parteischülers Jacob Walcher zu den Vorlesungen von Rosa Luxemburg 1910/11

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Heft I

Wirtschaftsgeschichte, Nationalökonomie.

Lehrer Dr. Rosa Luxemburg

Berlin, d. 4. IX. 10.

Hausarbeit

Was heißt oder was versteht man unter Nationalökonomie?

Der Begriff Nationalökonomie wird von den einzelnen Personen sehr verschieden aufgefaßt. Für die Art der Beurteilung seitens durch den einzelnen Menschen ist die wirtschaftliche Stellung, die er der Einzelne einnimmt, ausschlaggebend.

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[1] Überschrift der Redaktion. – Die Aufzeichnungen in sechs Heften sind im wesentlichen während der Vorträge Rosa Luxemburgs gemacht worden. Tabellen, exakte Angaben zu Ereignissen und Zitate sind vermutlich im Nachhinein hinzugefügt worden. Jacob Walcher folgte offensichtlich dem Rat der Lektorin. „Unser Ideal ist“, schrieb Rosa Luxemburg an Wilhelm Dittmann am 31. Mai 1911 über die Lehrmethode an der Parteischule, „überhaupt den Nachmittag frei zu lassen (auch bei Nachmittagsstunden [Stillehre, Redeübungen oder Naturwissenschaft] wird gewöhnlich um 3 oder 4 Schluß gemacht), denn die Schüler müssen den Nachmittag und Abend zur Arbeit zu Hause haben. Ohne diese Möglichkeit, ohne Durcharbeiten zu Hause des am Vormittag gehörten Stoffes, der Notizen, ohne Lesen entsprechender Broschüren und Bücher ist der ganze Unterricht völlig wertlos und zwecklos.“ Siehe GB, Bd. 4, S. 64.

Jacob Walcher (1887–1970) war 23 Jahre, ausgelernter Dreher, wurde 1906 in Stuttgart Mitglied des Deutschen Metallarbeiterverbandes und der SPD, war als ehrenamtlicher Funktionär auf dem linken Flügel der deutschen Sozialdemokratie aktiv, u. a. in der von ihm mitbegründeten freien sozialistischen Jugendorganisation und als Berichterstatter für SPD-Zeitungen. Ab 1. November 1911 war er Mitglied der Redaktion der Schwäbischen Tagwacht (Stuttgart) und wurde während des Ersten Weltkrieges Mitglied der Spartakusgruppe, Ende Dezember 1918 war er mit Wilhelm Pieck Vorsitzender des Gründungsparteitages der KPD. 1928 als „Rechter“ aus der KPD ausgeschlossen, wurde er Mitbegründer der Kommunistischen Parteiopposition (KPO) und wechselte 1932 zur SAP. Ab 1933 war sein Pseudonym Jim Schwab. Nach Emigration in Frankreich und in den USA schloß er sich 1946 der KPD/SED an, aus der er 1951 ausgeschlossen und in die er 1956 wieder aufgenommen wurde.

Für den Besuch der Parteischule hatte er durch einen Artikel von Fritz Tarnow in der Schwäbischen Tagwacht vom 4. Dezember 1909 Feuer gefangen. Danach bestand nicht der geringste Zweifel, „daß insbesondere der volkswirtschaftliche Unterricht durch die Gen. Luxemburg so vorzüglich, so meisterhaft geleitet wurde, daß jede Kritik lächerlich erschienen wäre. Das trifft nicht nur auf die Form, sondern auch auf den Inhalt des Vortragenden zu.“ Er gehörte als Jüngster zu den sechs Gewerkschaftern im V. Kurs 1910/11. Sie bekamen monatlich 150 M. Walchers Erinnerung an die Parteischule blieb bis zuletzt ungetrübt. 1962 äußerte er z. B.: „Die beste Lehrerin war Rosa Luxemburg. Sie beherrschte ihren Stoff souverän. Sie hatte die Methode, Leute, die zu bestimmten Formeln und Thesen neigten, zu eigenem Selbstdenken zu veranlassen. Auch wenn eine Antwort im Grunde richtig war, machte sie Einwände dagegen geltend, damit der Schüler gezwungen war, seine Meinung zu verteidigen … Als Pädagogin war sie äußerst geschickt.“ Siehe Hans-Joachim Schäfers: Zur sozialistischen Arbeiterbildung in Deutschland in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg, Diss. Leipzig 1965, S. 436.