Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 820

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Der Gewaltstreich

Petersburg, 16. Dezember. (Über Eydtkuhnen von einem Privatkorrespondenten.) Während der gestrigen Sitzung des Arbeiterdeputiertenrates wurde das Sitzungsgebäude von Truppen eingeschlossen. Die Polizei verhaftete 30 Deputierte, welche unter Bedeckung von Kosaken in geschlossenen Wagen fortgebracht wurden.

Petersburg, 18. Dezember. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Die Verhaftung des Rates der Arbeiterdeputierten hat auf die Arbeiter tiefen Eindruck gemacht. Gestern fanden in verschiedenen, hauptsächlich von Arbeitern bewohnten Vierteln Beratungen statt, in denen ein neues Exekutivkomitee der Arbeiter gewählt und die Frage des Generalstreiks erörtert wurde. Auch in Moskau ist, wie von dort gemeldet wird, der Generalstreik angeregt worden. Im Allgemeinen glaubt man nicht, daß unter den gegebenen Verhältnissen der Generalstreik gelingen würde. Die am Sonnabend Abend bei einer Sitzung des Arbeiterrats verhafteten 268 Personen sind bis auf 32, die ihre Namen nicht nennen wollten, wieder freigelassen worden.

Die Pressefreiheit

Petersburg, 17. Dezember. Der „Regierungsbote“ schreibt: Nach Veröffentlichung des Manifestes vom 30. Oktober[1] gründeten die Redakteure und Verleger vieler Residenzblätter und Journale einen Verband zum Schutze der Freiheit des gedruckten Wortes und beschlossen, die Gesetze nicht zu beachten. Einige Presseorgane überschritten alle Grenzen und ließen die Drucklegung solcher Artikel zu, welche im Kriminalstrafgesetz vorgesehene schwere Vergehen einschließen. Demzufolge sind vom 5. November bis zum 15. Dezember in beiden Residenzen wegen 92 Vergehen gegen das Kriminalgesetz gegen die Zeitungen Klagen anhängig gemacht worden; außerdem sind gegen alle periodischen Zeitschriften auf Grundlage neuer zeitweiliger Presseregeln Klagen beim Friedensrichter eingereicht worden.

Moskau, 16. Dezember. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Der Redakteur der Zeitung der Sozialisten-Revolutionäre[2] „Borba“ [Der Kampf], namens Skirmund, wurde verhaftet.

Drohungen der „Schwarzen Bande“ [3]

Petersburg, 17. Dezember. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Die Regierung erfährt von verschiedenen Seiten, daß die durch den Ausstand der Eisenbahnangestellten zugrunde gerichtete Bevölkerung sich in einem solche Zustande der Erregung befindet, daß ein neuer Ausstand sie zu Gewalttätigkeiten gegen die Eisenbahnangestellten treiben würde, worunter auch die Unschuldigen leiden würden. Angesichts der an zahlreichen Orten herrschenden Unruhen würde es der Regierung

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[1] Die zaristische Regierung sah sich angesichts des politischen Generalstreiks gezwungen, konstitutionelle Zugeständnisse zu machen. Im Manifest des Zaren vom (17.) 30. Oktober 1905 wurden bürgerliche Freiheiten gewährt, der Kreis der Wahlberechtigten für die Duma erweitert und der Duma die legislative Gewalt gegeben.

[2] Die 1901/1902 entstandene Partei der Sozialisten-Revolutionäre (Sozialrevolutionäre) vertrat die Interessen des Kleinbauerntums und hatte die Beseitigung des Zarismus und eine demokratische Republik zum Ziel. Zu ihren Kampfmitteln gehörten terroristische Anschläge. Später spaltete sie sich in einen linken und rechten Flügel.

[3] Die „schwarzen Banden“, „Schwarzen Hundert“, „Schwarzhundertschaften“ waren eine im „Bund des echt russischen Volkes“, nach dessen Spaltung 1908 auch im „Erzengel-Michael-Bund“, verankerte militant nationalistische und antisemitische Bewegung von Monarchisten. Sie agierten als bewaffnete terroristische Banden des zaristischen Regimes, ermordeten Arbeiter, Intellektuelle und zettelten Pogrome an. Sie setzten sich aus reaktionären Elementen des Kleinbürgertums, des Lumpenproletariats und aus Kriminellen zusammen.