Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 315

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Handelspolitik und Sozialdemokratie. Rede am 14. Dezember 1900 in einer Volksversammlung in Uhlenhorst

[1]

Nach einem Polizeibericht

Unter denjenigen Fragen, welche die Öffentlichkeit beschäftigen, ist die Handelspolitik diejenige, welche die meiste Aufmerksamkeit erfordert.

Seit jeher haben derartige Fragen grade für die Arbeiterschaft das größte Interesse, weil 9/10 der Zolleinnahmen von den Arbeitern aufgebracht werden müssen. Seit zwei Jahren laufen nun diese Handelsverträge ab, der Reichstag wird darüber beschließen müssen und das Volk hat den Verhandlungen des Reichstages die größte Beachtung zu schenken. Es ist freilich schwer nachzuweisen, welchen Einfluß die Zölle auf die Preise haben, aber annähernd sind wir in der Lage festzustellen, in welcher Weise die Zölle erhöhend auf die Preise wirken. Ich brauche mich wohl nicht darüber auszusprechen, in welcher Weise der Zollanschluß hier in Hamburg die Lebensmittel verteuert hat, es macht eine Steigerung von M 12 pro Monat und Arbeiterfamilie aus. Vom Standpunkte des Arbeiters als Konsument aus sind die Lebensmittelzölle eine feindliche Maßregel. Es wird uns aber erwidert, daß wir die Zölle auch als [ein Wort unleserlich] ins Auge fassen müßten, denn bei einer Blüte der Industrie, stiegen die Löhne der Arbeiter ebenfalls. Scheinbar verhält sich die Sache so, die Blüte der Industrie bringt den Fabrikanten hohe Dividenden, aber bei der Arbeiterschaft sind die Löhne in den Jahren [18]94 bis 98, der Blütezeit der Industrie, nur um 11½ Prozent gestiegen, nun muß man aber doch in Betracht ziehen, daß die Lebenshaltung viel teurer geworden ist, und dann sind diese Löhne auch nicht durch die Unternehmer von selbst erhöht worden, sondern mußten erst durch schwere Kämpfe errungen werden. Ohne Kämpfe wird von den Arbeitern nichts erreicht, deshalb muß uns die Schutzzollpolitik für den Arbeiter als mindestens sehr zweifelhaft erscheinen. Die Schutzzöllnerei gibt den besten Nährboden für die Unternehmer-Kartelle. Dieses können wir am besten an Amerika sehen, und dann sind solche Kartelle nicht zu vereinbaren mit dem Koalitionsrecht der Arbeiter. Dieses haben wir aus einer Enquete gesehen, die im Jahre 1890 in Pennsylvanien in den Kohlengruben der dortigen Syndikate vorgenommen wurde. Es wurde festgestellt, daß Tausende von Arbeitern nur

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[1] Diese war eine der drei im Hamburger Echo, Nr. 290 vom 13. Dezember 1900 angekündigten Volksversammlungen der deutschen Sozialdemokratie im dritten Hamburger Wahlkreis, an der laut Polizeibericht zirka 700 Personen, darunter 150 Frauen, teilnahmen.