Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 832

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eine Meuterei hervorrufen. – Also der Militarismus, der uns als ein gewaltiger, stahlgepanzerter, waffenstarrender Riese hingestellt wird, zittert vor einer Meuterei von zwölf Soldaten! (Heiterkeit.) In diesem Wort ist ein wahrer und ernster Kern, denn es zeigt sich, daß die trutzige Gewalt, die uns alle niederschmettern will, innerlich hohl, morsch und feige ist. (Beifall.) Man unterschätzt uns, wenn man glaubt, es sei uns um ein Komplott von zwölf Soldaten zu tun. Mit solchen Kleinigkeiten geben wir uns nicht ab. (Großer Beifall.) Was wir wollen, das ist viel gefährlicher für den heutigen Staat: Die Aufrüttelung der Millionen von arbeitenden Männern und Frauen. Das ist die große historische „Meuterei“ der Arbeiterklasse gegen das heutige Gesellschaftssystem. – Dies Ziel wird nicht durch eine Meuterei von zwölf Soldaten erreicht.

Wir wollen die Kriege aus der Welt schaffen. Doch nicht in der Weise, daß wir den Soldaten zurufen: „Schießt nicht auf die Feinde“, sondern dadurch, daß wir die Massen des Volkes über das Rohe und Brutale des Krieges aufklären. Wir wissen, daß die aufgeklärten Arbeiter nicht dümmer werden, wenn sie die Pickelhaube auf dem Kopf tragen, und daß ihre Brust auch unter dem Soldatenrock durchglüht ist von dem heiligen Feuer für die Ideen des Sozialismus. (Beifall.) Die geschichtliche Entwicklung führt dazu, daß früher oder später alle Bestrebungen des völkermordenden Militarismus am Widerstande der Arbeiterklasse zerschellen wie Glas an Granit. Wir haben in Zabern[1] gesehen, wie der Militarismus Gesetz und Recht mißachtet und die schwersten Gefahren für den inneren Frieden herbeiführt. Wenn wir den Militarismus bekämpfen, so arbeiten wir für die friedliche Kulturentwicklung in Deutschland. (Lebhafter Beifall.)

Vergebens habe ich versucht, den Richtern in Frankfurt das Wesen der sozialdemokratischen Bestrebungen klarzumachen.[2] Sie haben es nicht verstanden. Es hat sich gezeigt, daß man Vertretern der heutigen Gesellschaft unsere Bestrebungen nicht klarmachen kann. Eine Verständigung zwischen uns und ihnen ist ausgeschlossen. Deshalb ist es auch nicht möglich, daß wir Kompromisse mit dem herrschenden System schließen, sondern Kampf auf Tod und Leben gegen die herrschende Gesellschaft muß unsere Losung sein. (Beifall.)

Im Kampf gegen den Militarismus und die gesamte Reaktion stehen wir Sozialdemokraten allein da. Warum es so ist, das sagt uns die Erinnerung an die Ereignisse des 18. März.[3] Nachdem das Militär durch das bewaffnete Volk besiegt war, hat das feige Bürgertum aus Angst vor der aufkommenden Arbeiterklasse mit der Reaktion getechtelmechtelt, und so ist das Volk der siegreichen Revolution durch den Fuß des Militarismus niedergetreten worden. Militarismus und Reaktion sind durch das Verhalten der Bourgeoisie wieder zu uneingeschränkter Herrschaft gekommen. Wir sind

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[1] Unter der Überschrift Ein Telegramm des Kronprinzen veröffentlichte die Sozialdemokratische Partei-Correspondenz (Berlin), 9. Jg., Nr. 2 vom 24. Januar 1914, S. 26: „Da nunmehr feststeht, daß der Kronprinz die durch ein Pariser Blatt verursachte Meldung von einem Telegramme an den Obersten v. Reuter nicht dementieren ließ, soll auch die Version veröffentlicht werden, die uns von eingeweihter Seite mitgeteilt wurde. Danach hat der Kronprinz an den General v. Deimling, nicht an den Obersten v. Reuter, zwei Telegramme gerichtet. Das erste datiert schon vor den Ereignissen vom 28. November und lautet: ‚Immer feste drauf! Friedrich Wilhelm Kronprinz!‘“ Im November 1913 war es in Zabern (Unterelsaß) zu schweren Ausschreitungen des preußischen Militärs gegenüber den Einwohnern gekommen, die gegen die Beschimpfung der Elsässer durch einen Leutnant der Garnison protestiert hatten. Der Regimentskommandeur Oberst von Reuter ließ die Demonstrationen der Bevölkerung mit Waffengewalt auseinanderjagen und Verhaftungen vornehmen. Diese Vorgänge lösten in ganz Deutschland, selbst bei Teilen des Bürgertums, einen Entrüstungssturm gegen die Militärkamarilla aus, und der Deutsche Reichstag mißbilligte nach heftigen Debatten mit 293 gegen 54 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen die Stellung der Regierung, die die Vorgänge zu bagatellisieren versuchte. Oberst von Reuter, gegen den vom 5. bis 8. Januar 1914 vor einem Kriegsgericht in Straßburg verhandelt wurde, wurde von aller Schuld freigesprochen und im Januar 1914 vom deutschen Kaiser demonstrativ mit einem Orden dekoriert. Das zweite Telegramm datierte vom 29. November und lautete: „Bravo! Friedrich Wilhelm, Kronprinz!“

[2] Siehe Rosa Luxemburgs Verteidigungsrede am 20. Februar 1914. In: GW, Bd. 3, S. 395 ff.

[3] Am 18. März 1848 hatten Berliner Arbeiter, Kleinbürger und Studenten den Kampf mit dem preußischen Militär aufgenommen, Barrikaden errichtet und den preußischen Truppen eine Niederlage zugefügt. Friedrich Wilhelm IV. war gezwungen worden, das Militär aus Berlin zu entfernen. Die Regierungsgewalt ging in die Hände der liberalen Bourgeoisie über. Am 8. November 1848 begann der konterrevolutionäre Staatsstreich in Preußen. Unter Befehl des Generals Friedrich von Wrangel marschierte in Berlin Militär ein. Trotz der militärischen Auflösung der Nationalversammlung, der Entwaffnung der Bürgerwehr und der Verhängung des Belagerungszustandes rief die liberale Bourgeoisie die bereitstehenden revolutionären Volksmassen nicht zum aktiven Widerstand auf. Mit dem Verzicht auf ihre in den Märzkämpfen errungenen Positionen verriet die Bourgeoisie die Revolution. Auf dieses Versagen des Liberalismus kam Rosa Luxemburg mehrfach ausführlich und kritisch zu sprechen.