Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 7.2, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2017, S. 1066

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stehen?[1] Als im siebenjährigen Kriege der General Schmettau die Festung Dresden voreilig den Österreichern übergab, und den Obristen Hoffmann, der sich dem Verrat widersetzt hatte, erschießen ließ, weil dieser, wie Schmettau in seinem amtlichen Berichte sagte, betrunken gewesen sei, antwortete der König: „ich wollte, Er wäre auch besoffen gewesen!“[2] In seiner patriotischen Begeisterung wird es dem „Vorwärts“ wohl nicht schwerfallen, diesen Rat des alten Fritz zu befolgen, und so seinen geprellten Lesern einen Schwung des Leibes und der Seele vorzutäuschen, den er seit seinem Verrat an der Arbeitersache verloren hat.

Doch wenden wir uns von dem widerlichen Anblick ab, und grüßen wir unsern Parteigenossen Friedrich Adler mit den Worten des proletarischen Dichters:

Und wie man auch sonst gerichtet, Alles jetzt wich diesem Einen:

Seinem Irren zu vergeben, sein Verstummen zu beweinen.[3]

Der Kampf (Duisburg),

Nr. 52 vom 1. Juni 1917.[4]

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[1] Im Unterschied dazu zitierte Karl Kautsky in seinem Artikel Friedrich Adler in der Neuen Zeit, 35. Jg., 1916/17, Zweiter Band, aus der Verteidigungsrede Friedrich Adlers vor dem Wiener Gericht.

[2] Nachdem am 12. August 1759 die preußischen Truppen bei Kunersdorf eine schwere Niederlage erlitten hatten, räumten sie auch Sachsen, und die Reichsarmee besetzte im August Halle, Merseburg, Leipzig, Torgau und Wittenberg. Am 29. August 1759 erschien die Reichsarmee vor Dresden. Ihr Kommandant Generalleutnant Kurt Christoph vom Schmettau ließ ihre noch stehenden Vorstädte abbrennen. Am 4. September 1759 kapitulierte die preußische Garnison von Dresden vor der Reichsarmee. Friedrich II. hatte dem Kommandanten die Order gegeben, zur Rettung der Garnison, der Magazine und der sächsischen Feldkriegskasse mit 5,6 Mill. Taler auf eine ehrenvolle Kapitulation einzugehen, die der König aber zurückzog. Die Kapitulationsverhandlungen waren jedoch bereits abgeschlossen.

[3] Siehe Ferdinand Freiligraths Gedicht Odysseus. Nach Quellenvergleich kleine Korrekturen durch die Redaktion.

[4] Bei der polizeilichen Durchsuchung der Druckerei Schrader wurden 180 Exemplare von Der Kampf, Nr. 52, und die Korrekturbogen der Nr. 53 beschlagnahmt. An die Schriftleitung und den Verlag der Wochenschrift Der Kampf, Duisburg, erging vom VII. Armeekorps, Stellvertr. Generalkommando, Münster, den 4. Juni 1917, folgendes Schreiben über das Verbot: „In der Nr. 52 Ihres Wochenblattes ‚Der Kampf‘ vom 1. 6. 17 bringen Sie einen Aufsatz ‚Friedrich Adler‘. Es ist darin eine Verherrlichung dieses Mörders des Grafen Stürgkh zu erblicken, der sich ‚einem großen Gedanken‘ geopfert habe. Darüber hinaus versteigen Sie sich zu dem Satz: ‚Er wollte den gequälten Massen ein mahnendes Vorbild geben, und nur der unheilbare Stumpfsinn der Philister kann sich mit dem abgestandenen Gemeinplatz begnügen, daß die Tötung eines einzelnen Machthabers kranke Zustände nicht heilen könne.‘

Sie stellen durch diesen Satz den Mörder als nachahmenswertes Muster hin und vertreten die Ansicht, daß der Mord an einem Träger der öffentlichen Gewalt zur Herbeiführung anderer Zustände gerechtfertigt sei. Das ist eine Aufreizung schlimmster Art gegen die öffentliche Rechtsordnung.

Ich sehe mich daher genötigt, das Weitererscheinen Ihres Blattes von der nächsten Nummer ab hiermit zu untersagen. Der kommandierende General (gez.) Frhr. von Gayl.“ In Abschrift ging die Verfügung an den Regierungspräsidenten, den Polizeipräsidenten in Essen, die Landräte und die Polizeiverwaltungen der Stadtkreise. Siehe Stadtarchiv Duisburg, Kriegsakten 1914–1918, Best. 50/Nr. 55, Zensur und Verbot der sozialdemokratischen Zeitung „Der Kampf“ 1916–1918.