Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 4, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 522

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vor die in der Siegesallee versammelten Massen zu treten? Sie hätten eine so dröhnende Antwort zu hören bekommen, daß ihnen jede Lust zu Unterhandlungen vergangen wäre!

Die Massen sind bereit, jede revolutionäre Aktion zu unterstützen, für die Sache des Sozialismus durch Feuer und Wasser zu gehen. Man möge ihnen klare Parolen geben, eine konsequente, entschlossene Haltung weisen. Der Idealismus der Arbeiterschaft, die Revolutionstreue der Soldaten können nur durch Entschlossenheit und Klarheit der führenden Organe und ihrer Politik gestärkt werden. Und das ist heute eine Politik, die kein Schwanken, keine Halbheit, sondern nur das Leitmotiv kennt: Nieder mit Ebert–Scheidemann! Noch eine Lehre!

Deutschland war das klassische Land der Organisation und noch mehr des Organisationsfanatismus, ja des Organisationsdünkels. Um „Organisation” willen hatte man den Geist, die Ziele, die Aktionsfähigkeit der Bewegung preisgegeben[1]. Und was erleben wir heute? In den wichtigsten Momenten der Revolution versagt vorerst das gerühmte „Organisationstalent” in kläglichster Weise. Revolutionäre Aktionen zu organisieren ist eben noch ganz was anderes, als Reichstagswahlen oder Gewerbegerichtswahlen nach Schema F zu „organisieren”. Die Organisation der revolutionären Aktionen muß und kann eben nur in der Revolution selbst gelernt werden, wie das Schwimmen nur im Wasser gelernt wird. Dazu ist die geschichtliche Erfahrung da! Aber man soll eben aus der Erfahrung auch lernen.

Die Erfahrung der letzten drei Tage ruft den führenden Organen der Arbeiterschaft mit lauter Stimme zu: Redet nicht! Beratet nicht ewig! Unterhandelt nicht! Handelt!

Die Rote Fahne (Berlin),
Nr. 8 vom 8. Januar 1919.

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[1] In der Quelle: freizugeben.