Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 409

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diesen Lebensnerv wollen wir kämpfen vom Morgen bis zum Abend mit all unserer Kraft. Wir wollen dafür sorgen, daß dieser Lebensnerv so schnell wie möglich durchgeschnitten wird. („Bravo!“)

Wenn preußische Staatsanwälte des rohen Glaubens sind, wenn diese Leute sich in ihrer groben historischen Vorstellung einbilden, daß unser Hauptmittel im Kampfe gegen den Militarismus darin bestehe, daß wir den Soldaten in dem Augenblick hindern wollen, wenn er den Arm hebt, um die Waffe loszudrücken, so irren sie sich. Die Hand wird vom Hirn geleitet. Auf dieses Hirn wollen wir einwirken durch unser geistiges Sprengpulver. (Stürmischer, lang anhaltender Beifall.)

Und noch etwas möchte ich hier sagen, das ich dem Staatsanwalt zu sagen verschmäht habe. Er hat auf meine besondere Gefährlichkeit hingewiesen, weil ich dem extremsten, radikalsten Flügel unserer Partei angehöre. Aber wenn es gilt, gegen den Militarismus zu kämpfen, da sind wir alle einig, da gibt es keine Richtungen. (Beifall.) Da stehen wir alle wie eine Mauer gegen diese Gesellschaft. (Stürmischer, brausender, lang anhaltender Beifall.) Es ist nicht die Rosa Luxemburg, es sind heute bereits zehn Millionen Todfeinde des Klassenstaats.

Parteigenossen! Jedes Wort der Urteilsbegründung ist ein öffentliches Eingeständnis unserer Macht. Jedes Wort ist ein Wort der Ehre für uns, darum heißt es für mich wie für Euch, zeigen wir uns dieses Ehrentitels würdig. Wollen wir immer eingedenk sein der Worte unseres verstorbenen Führers August Bebel: „Ich bleibe bis zum letzten Atemzug der Todfeind des bestehenden Staates.“[1] (Jubelnder, nicht endenwollender Beifall.)[2]

Die Gleichheit (Stuttgart),
24. Jg., 1914, Nr. 12, S. 180.

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[1] „Ich will der Todfeind dieser bürgerlichen Gesellschaft und dieser Staatsordnung bleiben, um sie in ihren Existenzbedingungen zu untergraben und sie, wenn ich kann, beseitigen.“ (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Dresden vom 13. bis 20. September 1903, Berlin 1903, S. 313.)

[2] In dieser Versammlung wie in zwei Parallelveranstaltungen, in denen die Verteidiger Rosa Luxemburgs sprachen, wurde folgende Resolution angenommen: „Die heutigen Massenversammlungen erheben flammenden Protest gegen das die Genossin Luxemburg zu einem Jahr Gefängnis verurteilende Erkenntnis der Frankfurter Strafkammer. Die Versammlung sieht in dem Urteil das Zugeständnis, daß die Sozialdemokratische Partei in ihrem Kampfe gegen den Militarismus den heutigen Klassenstaat in seinem Lebensnerv trifft. Sie geloben, in Zukunft noch viel schärfer als bisher, gemäß den Worten des Staatsanwalts, als Todfeind der bestehenden Gesellschaftsordnung bis zum letzten Atemzug zu kämpfen.“ (Vorwärts [Berlin], Nr. 53 vom 23. Februar 1914.)