Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 564

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Parteifragen im „Vorwärts“

Genossin Luxemburg sendet uns im Anschluß an den Schriftwechsel[1] in unserer Nummer vom 24. d. M. nachfolgende „Schlußantwort“ unter der Aufschrift „Demokratie in der Beuthstraße“.

Nach der zweiten Replik des „Vorwärts“ können wir uns nur auf einige Bemerkungen beschränken.

1. Der „Vorwärts“ versteht nicht, worin er denn seinen Pflichten weniger nachgekommen sei als andere Parteiblätter, z. B. die „Leipziger Volkszeitung“, die „nur“ ihre Zustimmung zu meinen Artikeln in der Bernstein-Frage ausgedrückt habe. Er, der „Vorwärts“, habe ja seinerseits die Artikel von Kautsky gebracht! Also der „Vorwärts“ erklärt damit den Kautskyschen Standpunkt für den seinen?!

Ja warum haben's die Biederen nicht früher gesagt? Wir stehen ja gleichfalls mitsamt der Masse der Partei auf dem Kautskyschen Standpunkt! Wir wären somit Bundesgenossen? Es war also wieder nur so ein verwünschtes Mißverständnis!

Aber wie erklärt sich denn der „Vorwärts“-Artikel „Eitle Hoffnungen“,[2] wo der von Kautsky in demselben „Vorwärts“ nachgewiesene Umfall Bernsteins als eine „lächerliche“ Einbildung, von freisinnigen Biedermännern erklärt wurde?

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[1] Gegenstand des Schriftwechsels im „Vorwärts“ vom 24. September 1899 war die Frage, welche Haltung der „Vorwärts“ als Zentralorgan der Sozialdemokratie zu brennenden Parteifragen einzunehmen hat. Der „Vorwärts“ hatte die Auffassung vertreten, jede politische Strömung müßte ungehindert ihre Meinung äußern dürfen, während Rosa Luxemburg forderte, daß er als Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei die proletarischen Interessen entsprechend den Parteibeschlüssen vertreten müsse.

[2] Der „Vorwärts“ hatte am 28. März 1899 den Artikel „Eitle Hoffnungen“ veröffentlicht, in dem er die Kritik der revolutionären Sozialdemokraten an Eduard Bernsteins Revisionismus als unbegründet zurückwies. Gleichzeitig trat er auch der bürgerlichen Presse entgegen, weil sie Bernsteins neue Taktik für ihre Propaganda ausnutzte.